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Die narzisstische Gesellschaft

Die narzisstische Gesellschaft

Titel: Die narzisstische Gesellschaft
Autoren: Hans-Joachim Maaz
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durch Zuhilfenahme medikamentöser Ruhigstellung. Eltern fühlen sich durch die Folgesymptome ihres Liebesmangels genervt und überfordert. Sie wollen und können vor allem nicht verstehen, was mit den Kindern los ist, da sie sich ja auf keinen Fall als Ursache der kindlichen Not sehen wollen. Es ist vielen Eltern im Grunde unmöglich zu erkennen, dass sie für die Kinder keine guten Eltern sind, weil sie sich doch redlich bemühen und alles machen, was in ihrer Macht steht. Oftmals sind die realen Lebensumstände und Arbeitsverpflichtungen so belastend, dass die Kinder natürlich nicht im Mittelpunkt stehen können. Aber alle Realitäten und rationalisierenden Erklärungen für das elterliche Verhalten nutzen dem Kind gar nichts, vor allem wenn die erlebte und die erklärte Welt nicht zusammenpassen. Das Erleben des Kindes aber entscheidet über sein Befinden.
    In der Folge des Liebesmangels lernen Kinder allmählich herauszufinden, wofür sie Anerkennung und Zuwendung von den Eltern bekommen können. Damit beginnt ein lebenslang anhaltender Prozess der Entfremdung: Man tut nicht mehr, was wirklich zu einem passt und individuell möglich ist, sondern was erwartet wird, um über die Anpassung Bestätigung zu erfahren. Ein Leben neben der Spur! Lob und Tadel sind die Erziehungsinstrumente, die das falsche Selbst züchten. Allmählich werden die erwünschten und geforderten Verhaltensweisen so selbstverständlich, dass man sie als ureigene empfinden mag und andererseits kaum noch Erfahrungen sammeln kann (und später auch nicht mehr will), die das wahre Selbst entwickeln und zur Geltung bringen könnten.
    Das falsche Selbst entwickelt sich im Wesentlichen in zwei Richtungen:
    im Hinblick auf den Wunsch, durch Anstrengungen, Bemühungen und Leistungen die Erwartungen der Eltern zu erfüllen;
im Hinblick auf die Absicht, durch Schwächen, Fehler, Ungeschicklichkeiten, Hemmungen und Versagen die Sorge der Eltern zu provozieren.
    Ziel beider Extremvarianten ist es, elterliche Zuwendung und Bestätigung zu erreichen. Es ist aber bestenfalls die Bestätigung eines falschen Lebens. So gewinnen wir ein Verständnis für das Größenselbst und das Größenklein.
    Ob ein Kind sich allmählich mehr ein Größenselbst baut oder sich zunehmend im Größenklein einrichtet, ist meiner Erfahrung nach von verschiedenen Faktoren abhängig: zuerst vom Machteinfluss der Eltern, die ihre Kinder zu besonderen Leistungen antreiben und etwas Besonderes aus dem Kind machen wollen, oder von der Verzagtheit und Unsicherheit der Eltern, die selbst im Minderwertigkeitsgefühl gefangen sind und deshalb auch den Kindern kein Vorbild für ein anderes – erfolgreicheres – Leben sein können. Gar nicht selten werden Kinder von schwachen, depressiven Eltern nahezu daran gehindert, lebendiger und aktiver zu werden als sie selbst. Es gibt in solchen Konstellationen sogar eine Furcht der Heranwachsenden, besser, erfolgreicher als ihre Eltern zu werden, um diese nicht zu beschämen und zusätzlich zu verunsichern. Natürlich spielt das soziale Umfeld eine wesentliche Rolle: Gibt es Anregungen, Unterstützungen und Förderungen für Fähigkeiten und Talente des Kindes außerhalb des Elternhauses oder verstärken auch hier Armut, Arbeitslosigkeit, psychosoziale Konflikte und geringe soziale Entwicklungschancen die Selbstabwertung und chronifizieren diese?
     
    Größenselbst Der frühe Mangel an grundsätzlicher Annahme motiviert zu allen möglichen Anstrengungen, um doch noch die lebensnotwendige Bestätigung zu bekommen. Das ist der Ausgangspunkt für alle großen Leistungen, die nur durch Mühen, Fleiß und Ausdauer und andererseits durch vielfache Entbehrungen erreichbar sind (der Leistungssport ist dafür ein typisches Beispiel). So werden – dem Maßstab der Gesellschaft folgend – real großartige Ziele erreicht, die es dem Erfolgreichen ermöglichen, sich in der Tat als großartig zu empfinden. Es bleibt aber immer Ersatz – Erfolg im falschen Leben! In dieser Weise lassen sich alle Siege in einer Leistungsgesellschaft – vom Lob der Eltern über gute Zensuren in der Schule, Karriere im Beruf und vorderste Plätze im Wettbewerb – für die Aufblähung eines unsicheren und unbestätigten Selbst nutzen. Das Größenselbst erkennt man an der unruhigen Getriebenheit, am Stress, an unerreichbarer oder nur ganz kurz anhaltender Zufriedenheit und an schweren Krisen, ausgelöst durch kleinste Misserfolge. Die Aufmerksamkeit ist nach außen
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