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Die Nachzüglerin (German Edition)

Die Nachzüglerin (German Edition)

Titel: Die Nachzüglerin (German Edition)
Autoren: Regine Sondermann
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werden und auf das Baby aufpassen,
damit er mit Anna ausgehen konnte? Sollte ich schnell
die Spielsachen wegräumen und Heidideidi machen
und ähnlichen Blödsinn für ein bisschen Kuschelei?
Dankbare Blicke von Alexej aufsaugen dafür, dass er
in Ruhe arbeiten konnte, während ich mit dem Kind
ausfuhr?
Wir mussten mit der Straßenbahn fahren. Das
Baubüro war auf der anderen Elbseite. Ich liebte es,
über den breiten Strom zu fahren und mir die
Plattenbauten anzusehen, die es zwischen dem
Thüringer Wald und den Kurilen-Inseln überall gab.
Ich war davon überzeugt, dass der Ästhetik der
Leichtbauweise noch einmal ganz große Bedeutung
zukommen würde. Es war Gotteslästerung zu
behaupten, die Gebäude sähen alle gleich aus. Schon
die Verteilung der verschiedenfarbigen Keramikfliesen
ergab einen visuellen Rhythmus, der sich in die
Zusammenstellung der verschieden hohen Betonklötze
wunderbar einfügte. Die Variationen der Perspektiven
ergaben zwar keine Symphonie, aber ein artiges
Menuett oder mindestens eine Betonwalzeretüde.
Margarete saß neben mir und blätterte in der Zeitung.
Wir waren auf den letzten Metern einer langen und
anstrengenden Reise.
    "Das Geld bekommen Sie von Konrad." Die
Sekretärin war hart. Eine Maschine hätte uns mehr
Verständnis entgegengebracht. Margarete packte
stumm ihre beiden Taschen und wollte zur Tür gehen.
Die Sekretärin hatte sich ihrem Bildschirm wieder
zugewandt und ließ ihre Fingerkralle wie ein
Raubvogel über der Tastatur kreisen.
"Wo bitte ist Ihr Konrad?" Ich schrie beinahe, doch
sie drehte sich nicht einmal um.
"Sie können morgen versuchen, hier anzurufen.
Morgen kommt er vielleicht."
"Was heißt hier vielleicht? Er ist doch Ihr Chef. Sie
müssen doch wissen, wo er zu erreichen ist. Wenn Sie
uns nicht sofort sagen, wo er ist, hängen Sie auch mit
drin."
Die Sekretärin griff zum Telefonhörer wie zu einer
Waffe, mit der sie uns vertreiben wollte, aber sie
wählte keine Nummer. "Ich kann Ihnen auch nur
sagen, was mir gesagt wird. So wie es aussieht, ist Herr
Konrad derzeit verreist und wird in den nächsten
Tagen zurückerwartet."
"Sie werden von meinem Anwalt hören. Richten Sie
das auch Ihrem Herrn Konrad aus."
Als wir aus dem Container draußen waren, fragte ich
Margarete: "Hast du einen Arbeitsvertrag?"
Sie hatte genau wie ich keinen Vertrag, und sie hatte
genau wie ich schwarz gearbeitet. Meine Lohnsteuerkarte lag noch immer auf einem Papierhaufen in
Nürnberg, oder sie war von der Vermieterin in der
Kittelschürze bereits weggeworfen worden. Einen
Monat lang hatten wir umsonst geschuftet.
KAPITEL 13
    Ich wollte zu Anna. Ich tat, als wollte ich sie sehen,
dabei wollte ich eigentlich nur ihren Bauch besichtigen.
Es war nicht mehr viel Zeit bis zur Entbindung, Anna
war im neunten Monat. Ich betrieb Schwangerschaftstourismus und bedauerte die verloren gegangene Bauchästhetik. Außer den Bildern von der
schwangeren Maria auf dem klapperigen Esel war
nichts davon übrig geblieben, als hätte die Frau auf
dem Esel sie mit ihrer Jungfräulichkeit verscheucht.
Wo waren die Göttinnen mit ihren Wampen, Kesseln
und Plauzen geblieben? Anna war eine Bombendrohung: "Ich sprenge eure Klamotten mit der ganzen
Kraft meiner Fruchtwasserblase. Wie dick wird sie
noch werden?", fragte ich mich.
In der Wohnung, die Alexej und Anna kürzlich bezogen hatten, traf ich niemanden an. Das
Aussiedlerheim war nicht weit weg. Ich konnte zu Fuß
hingehen. Auf dem Hof begrüßte mich eine Frau, die
ich bei meinem letzten Besuch im Treppenhaus
kennengelernt hatte. Ich glaube, sie hieß Vera. Sie
gehörte zu den Menschen, die für ihre Freundlichkeit
bezahlt werden müssten: "Anna ist im Keller, lasst sich
eine Permanentka machen." Ich wusste, dass das eine
Dauerwelle war. Ich ging in den Keller. Es roch dort
nach einer Mischung aus Friseursalon und Kneipe. In
einem Raum spielten die Männer Karten und im
anderen, in dem die Waschmaschinen brummten,
saßen die Frauen hintereinander in einer Reihe. Die
vorderste vor einem Spiegel, in dem sie sich kaum
erkennen konnte, so viele Risse und Beulen hatte er.
Die Friseuse hieß Natascha, sie hatte wasserstoffgebleichte Haare und trug eine weiß gepunktete
rosa Schürze. Anna, die bereits die stinkenden Wickler
im Haar hatte und auf die Fortsetzung ihrer
Behandlung wartete, lächelte mir freundlich zu. "Warte
oben auf mich, meine Mutter ist da." Den Bauch hatte
sie unter einer geblümten Plastikschürze versteckt.
Auf Befehl ihrer Tochter hatte sich
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