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Die Nachzüglerin (German Edition)

Die Nachzüglerin (German Edition)

Titel: Die Nachzüglerin (German Edition)
Autoren: Regine Sondermann
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am
Daumen setzte ich meiner Übelkeit ein Ende. Das
hatte mir in den letzten Wochen schon öfter geholfen.
Ich verfluchte Frieda und ihre SchweinebratenLebkuchen-Exzesse.
Als ich zurückkam, unterbrachen Frieda und Alexej
ihre Unterhaltung. Frieda verschwand wieder hinter
ihrer Zeitung. Ich sah auf meinen abgegessenen Teller
und ekelte mich.
"War das damals auch dein Kind?"
"Welches Kind?"
"Das Kind in Sibirien, das ihr abgetrieben habt."
"Es war von mir."
Ich musste mich zwingen, nicht laut loszulachen.
"Kannst du eigentlich nicht verhüten?"
Ich nahm den Teller, der vor mir stand, und setzte ihn
geräuschvoll vor ihm ab.
"Ohne Verhütung! Das ist wie Schweinebraten
servieren ohne Teller."
Der Wirt kam an den Tisch und fragte, ob mit dem
Essen etwas nicht in Ordnung sei.
Ich fühlte, wie die Zeit in der Sanduhr zu rutschen
begann. Meistens tickte sie ruhig und regelmäßig
dahin, aber jetzt hatte sie für einen Moment den Halt
verloren. Nur ich bemerkte es. Der Wirt brachte uns
drei Schnapsgläser "von dem Herrn mit der
Gewinnphase". Alexej und Frieda lehnten ab, ich
prostete dankbar in Richtung Spielautomat und
schüttete das Glas Apfelkorn in einem Zug hinunter.
Frieda gähnte demonstrativ.
    Alexej kümmerte sich nicht um sie, sondern strich mir
mit dem Handrücken zart über die Wange. Ich spürte
seinen Hautgeruch und wollte seine Umarmung. Aber
ich reckte meinen Kopf in die Höhe und sagte, jedes
Wort einzeln betonend:
"Kein Bahnhof Lichtenberg am Ende der Straußberger
Allee."
Alexejs Hand schien in der Luft zu schweben. Er hatte
sie zwar von mir weggenommen, aber noch nicht
wieder zu sich zurückgenommen. Es war eine
denkende Hand, wie sie die Heiligen auf den Bildchen
früher hatten, die Finger zu einem Strauß gefächert.
"Du warst wohl noch nie in Ostberlin?", fragte ich ihn
höhnisch, obwohl ich zusammen mit ihm über die
endlose Gleisbrücke spaziert war.
"Du bekommst ein Kind, Alexej. Anna bekommt ein
Kind von dir."
Alexej legte mir wieder seine Hand auf. Er berührte
mich zart am Arm. Ich konnte ihn nicht wegstoßen,
weil mir die Wärme gut tat.
"Warum hast du mich verlassen?"
"Wie soll ich jemanden verlassen haben, mit dem ich
gar nicht zusammen war." Ich stieß meinen Ellbogen
in die Luft, dass er sich von mir lösen musste.
"Du warst bei mir, und jetzt bist du nicht mehr da.
Vom ersten Augenblick an wusstest du es, und du
wolltest es. Bevor ich dich verraten konnte, hast du
mich schon mit mir betrogen, noch bevor ich wusste,
dass ich so sein konnte."
    Ruckartig griff Frieda nach dem Schnapsglas, das
immer noch unberührt vor ihr stand, und schüttete
sich den Inhalt in den Mund. Danach leckte sie sich
ihre schönen Lippen gründlich ab. "Unterhaltet euch
ruhig weiter. Ich kann leider nicht mehr ganz folgen."
Sie ging ebenfalls zu einem der Spielautomaten und
begann Kleingeld einzuwerfen.
Alexej fing an, mit dem Finger zarte Linien auf meine
Wange zu zeichnen.
"Hör auf damit. Was soll das?", fragte ich ihn.
Er legte mir den Finger auf den Mund und legte seine
Lippen darauf. Ich wagte es, seinen Kuss zu erwidern.
Es war ohnehin das letzte Mal. Ich wollte nicht mehr
stören. Ich lächelte, als Alexej sich von mir löste und
kniff so fest ich konnte in seinen Oberschenkel. Er
nahm meine Hand und drückte sie, bis mir die Finger
taub wurden.
Ich schloss die Augen. Rotorange
schimmerten die Lichter hinter meinen geschlossenen
Lidern. Selbstverständlich würde ich das Kind mit
Alexej zusammen großziehen, falls Anna bei der
Geburt des Kindes sterben würde.
Frieda riss an meinem Arm. "Franka, es ist jetzt genug.
Ich will nach Hause."
Alexej sah ungläubig zu ihr auf und bat mich: "Geht
bitte nicht."
Ich stand auf und verabschiedete mich von Alexej:
"Geh zu deiner Frau." Frieda zog mich mit sich fort.
Er biss sich auf die Lippen.
"Warum hast du dich eingemischt?", fragte ich Frieda,
die mich immer noch an ihrer Hand hatte und zur
Endhaltestelle der Straßenbahn zog.
"Komm schnell", sagte Frieda. "Ich habe keine Lust,
mich hier länger als nötig rumzutreiben." Ich verglich
die
Rechtecke
der Fenster.
Sie
waren
alle
unterschiedlich groß.
"Ich wollte nicht, dass du dich lächerlich machst."
"Ich liebe ihn doch." Frieda sagte nichts. Es stimmte
gar nicht, dass alle Plattenbauten gleich aussahen. Ich
fragte Frieda, warum so viele Fenster lila beleuchtet
waren.
"Das ist UV-Licht, es ist gut für die Pflanzen", erklärte
sie mir.
Wir waren die einzigen Fahrgäste in der Bahn.
"Alexej liebt mich. Das weiß ich."
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