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Die Nachzüglerin (German Edition)

Die Nachzüglerin (German Edition)

Titel: Die Nachzüglerin (German Edition)
Autoren: Regine Sondermann
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Frieda. "Ich hätte lieber auch nichts davon
mitgekriegt."
"Kannst Du Griechisch?", fragte ich Eva.
"Leider habe ich wenig von der Sprache gelernt. Das
lag bestimmt daran, dass ich immer mit so vielen
Leuten unterwegs war, da konnte immer jemand
übersetzen. Ein paar Sachen musst du können, aber es
geht auch viel mit Gesten. Es ist manchmal schöner,
ohne Worte klarzukommen, oder?"
Ich nickte. Sie war nicht mehr zu bremsen. "Du denkst
immer, du brauchst Worte, aber die brauchst du gar
nicht." Frieda stand auf: "Ich muss gehen." Sie reichte
Eva die Hand, die sie verdutzt entgegennahm, als
müsse sie sie für immer behalten.
"Ich wünsche euch einen schönen Abend." Ihr Satz
blieb wie ein umgefallener Säbel im Raum liegen, und
ihr Fortgehen hatte ein Loch ins Zimmer gerissen. Ich
war froh, als ich aufwachte.
    Das Haus sah jetzt aus wie ein ausgehöhlter Zahn und
wartete auf den zweiten Bautrupp. Ich putzte gerade
mit einem Scheuerlappen einen Dispersionsfarbfleck
vom Fenster, da sah ich die Teerlaster vorfahren. Sie
hatten den brodelnden Asphalt geladen, der in den
Zimmern als Fundament verteilt wurde. Der Fleck
wollte nicht abgehen. Ich versuchte, ihn mit den
Fingern abzukratzen. Ich spuckte, rieb darauf herum,
bis das Glas zu quietschen anfing. Ich stellte mir vor,
Alexej wäre einer von den Männern, die, jeder mit zwei
Holzeimern bewaffnet, die schwarze Suppe in die
Wohnungen hochtrugen und dort verteilten. Hier
oben war der Gestank schon so beißend, dass ich das
Fenster
schließen
musste.
Alexej
würde
zusammenbrechen. Er würde einmal zwei Eimer
hochtragen und dann die Kübel hinschmeißen.
Fast brutal wirkten die Gerüstaufsteller. Bevor sie
loslegten, drehten sie ihren Radiorecorder auf
Höllenlautstärke und begannen, die Eisenteile nach
dem Rhythmus der Musik einander zuzureichen. Das
Haus sah jetzt aus wie ein riesiges OutdoorBodybuilding-Studio. Bei Regen oder wenn sie
Frühstückspause machten, saßen die Dachdecker in
ihrem Lastwagen. Margarete, die mehr nach innen als
nach außen lachte, freute sich, wenn ich mich mit
ihnen stritt.
"Hallo Muttis", begrüßte uns einer von ihnen, als wir
unsere Putzkübel in den Rinnstein schütteten. Wir
waren eben mit dem Treppenhaus fertig geworden.
"Hast du die Hosen voll? Brauchst du neue Pampers?"
Verblüfft starrte er uns nach. Ich beschleunigte meinen
Schritt, weil ich wusste, dass er sich ohne Gnade an
mir rächen würde. Wir verstanden nicht, was er uns
nachrief, aber es war garantiert auf meinen Hintern
bezogen, und wir konnten hören, wie seine Kollegen
grölten.
Während einer Schönwetterperiode deckten sie in
wenigen Tagen ein ganzes Dach neu. Dann tanzten sie
mit nackten Oberkörpern auf dem Dach herum. Ohne
dass ihnen dabei schwindlig wurde, behielten sie
zusätzlich die Straße unter Kontrolle.
"Die führen sich auf wie die Affen auf dem Felsen",
beschwerte ich mich bei Margarete, als gerade eine
Salve von Pfiffen und Johlen über eine blonde junge
Frau herniedergegangen war. Sie hatte keine Miene
verzogen und ihre Gangart nicht geändert. Es war wie
bei Hunden das beste Mittel, in Ruhe gelassen zu
werden.
"Die jungen Mädchen laufen aber auch herum, dass
man nur den Kopf schütteln kann."
Weil ich mich nicht mit Margarete streiten wollte,
stellte ich meinen Staubsauger wieder an. Ich mochte
ihre Art, mit Worten zu sparen, obwohl ich manchmal
darüber entsetzt war, was sie sagte. Der Teppichboden
stank widerlich nach Klebstoff. Mir taten die Mieter
leid, die hier einziehen würden. Die frisch renovierten
Altbauten waren bei den vielen Westdeutschen beliebt,
die noch keine eigenen Häuser besaßen. Sie arbeiteten
in den neu eingerichteten Behörden und Institutionen.
Abends saßen sie frustriert in den Restaurants und
meckerten über das Essen. Ich traf mich nur noch
selten mit Alexej. Für ihn war Magdeburg immer noch
ein Nichtort, ein Häuserhaufen. Da war er wie ein
Russe, für den nur Petersburg oder Moskau
erstrebenswerte Wohnorte sind. Die Ostdeutschen
betrachtete er als ausländerfeindliche Spießer. Seit
Anna ein Baby erwartete, war er demonstrativ
gleichgültig geworden. Das politische Leben in der
Stadt reduzierte sich für ihn auf zwei Sorten
Hundebesitzer: rechte und linke.
    Heute war Zahltag. Ich musste den Staubsaugerbeutel
wechseln. Mein Gesicht wurde in eine Plastikstaubwolke gehüllt. Margarete und ich würden nach
der Arbeit ins Baubüro fahren. Ich beschloss, Alexej
nicht mehr zu besuchen. Sollte ich vielleicht die nette
Kindertante
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