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Die Nachzüglerin (German Edition)

Die Nachzüglerin (German Edition)

Titel: Die Nachzüglerin (German Edition)
Autoren: Regine Sondermann
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Wurstbrot aus
der Tasche. Während ich mein Brot unter Tränen
kaute und der Majorangeschmack aus der Wurst sich
mit dem Duft der Waldkräuter vermischte, wurde
mein Hosenboden nass. Müde trabte ich zum
Parkplatz.
    Er saß im Bus neben seinen Freunden auf der
Hinterbank. Ich merkte, dass er mich erkannte und
wagte ich es nicht, ein zweites Mal hinzusehen. So
fixierte ich den Aschenbecher, der am Sitz vor mir
montiert war. Ich öffnete ihn, als könnte ich darin eine
Erklärung für meine Ohnmacht finden. Der
Aschenbecher war leer. Nicht ein einziges Körnchen
Asche konnte ich in die Luft blasen. Anscheinend war
der Bus noch neu und daher noch sauber. Ein
bisschen Dreck hätte ihm jedoch sicher gut getan. Als
ich mich einmal kurz umdrehte, sah ich, dass er zu mir
starrte. Um nicht noch einmal hinsehen zu müssen,
beobachtete ich die Regentropfen, die sich an den
Fensterscheiben entlang schlängelten. Bei der Ankunft
in Nürnberg stieg er vor mir aus. Ich erwiderte seinen
stummen Gruß.
Zu Hause angekommen musste ich den Ofen
anheizen. Da ich kein Anzündeholz mehr finden
konnte, zerbrach ich eine Obstkiste, die eigentlich ein
Teil meines Bücherregals war. Meine Mitbewohnerin
Eva hatte ich schon seit Tagen nicht mehr gesehen.
Wahrscheinlich hatte sie zurzeit Nachtschicht. Sie
konnte noch nicht lange weg sein. In der Küche war
eine Spaghetti-Carbonara-Orgie veranstaltet worden.
Die weich gequollenen Nudeln schwammen immer
noch in der Spüle zwischen den dreckigen Tellern und
Töpfen. Der Mülleimer war voll und der Kühlschrank
leer. Nachdem ich aufgeräumt hatte, aß ich ein paar
Lebkuchen, die ich in der Fabrik geklaut hatte.
    Am nächsten Tag konnte ich mich nicht mehr genau
daran erinnern, wie der Typ aussah. Ich stand am
Fließband, atmete den Lebkuchenduft ein und
versuchte, mir sein Bild ins Gedächtnis zu rufen. Das
Einzige, was mir gelang, war ein lückenhafter
Steckbrief: schwarze Lederjacke, schwarze Jeans,
schwarze Locken und die Augen. Das süße Gebäck
wurde in der oberen Etage gefertigt. Wir verpackten es
im Keller. In der Mittagspause verzog ich mich in eine
Ecke des Fabrikhofes und setzte mich auf einen
Palettenstapel. Die Sonne schien. Ich sah ein Gesicht
in verschwommenen Umrissen, das nicht sein Gesicht
war, sondern ein Phantombild. Ausdruckslos wegen
mangelnder Fantasie der Zeugin. Später füllte ich
weiter die Schachteln für die nächste Saison. Hektisch
griff ich nach zwei Lebkuchen mit Schokoladenglasur,
grabschte dann nach zwei mit Zuckerglasur, die ich am
wenigsten mochte, verfing mich in der Hand einer
anderen Arbeiterin, die nicht auf eine Entschuldigung
wartete, bis ich endlich die Packung vollmachte mit
drei Teilen ohne Glasur. Ich ließ mir keine Zeit, mich
an dem Ergebnis zu freuen, da ich genauso hart
schuften wollte wie die anderen Frauen. Die rechte
Hand war zu schnell, um sie von der linken zu
unterscheiden. Es herrschte ein Handgemenge über
dem Karton. Ich kam nicht nach. Der Vorarbeiter war
nicht zufrieden mit unserem Tempo. "Wollt ihr die
Peitsche, Mädchen?", brüllte er uns in den Rücken. Die
Arbeiterinnen stellten sich taub. Sie konnten sich das
doch nicht einfach gefallen lassen. "Wichser", schrie
ich ihm nach, aber er hörte es nicht, oder er wollte es
nicht hören. Als es klingelte, kam unsere Ablösung.
Zehn große, dicke Frauen betraten die Halle. Ihre
teigigen Arme quollen hellrosa aus den zu engen
Schürzenkleidern. Sie beachteten uns nicht. Eleni
hakte sich bei mir unter: "So siehst du aus in zwanzig
Jahren, wenn du bleibst." Eleni kam aus Griechenland.
"Nein", sagte ich. "Lass uns lieber an dein Meer
fahren." Wir standen im Waschraum vor dem Spiegel
und sahen einander in die müden Augen.
"Mein Meer gibt dir kein Geld. Wovon sollst du
leben?" Sie musste in der Fabrik arbeiten, ich hingegen
tat es aus Abenteuerlust. Sie musste sich am Abend um
ihre Kinder kümmern, während ich mein Nachtleben
organisierte. Heute würde ich ins "Fez" gehen.
    Ausgerechnet an diesem Abend sollte es geräumt
werden, weil das Kneipenkollektiv die Miete nicht
mehr bezahlen konnte. Da konnte "Er" nicht fehlen.
Ich wollte gut aussehen, darum zog ich meine lange,
schwarze Lederhose an, die sich über den
Beckenknochen spannte. Sogar Make-up wollte ich
heute
auflegen.
So
suchte
ich
nach
Evas
Schminksachen. Die Wohnung, eine Altbauwohnung
am Haller Tor, hatte kein Badezimmer. Aus diesem
Grund suchte ich in ihrem Zimmer nach ihrem
Kulturbeutel. Als ich feststellte, dass er weg war,
öffnete
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