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Die Nachzüglerin (German Edition)

Die Nachzüglerin (German Edition)

Titel: Die Nachzüglerin (German Edition)
Autoren: Regine Sondermann
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ich ihren Kleiderschrank. Er war halb leer.
Typisch. Immer, wenn ich sie brauchte, war sie nicht
da. In meiner Verzweiflung ging ich zum Ofen und
nahm ein Stück Holzkohle. Umständlich schwärzte ich
mir damit die Augenlider. Ich war zufrieden, denn ich
sah aus wie eine Räuberbraut. Kurz darauf machte ich
mich mit dem Fahrrad auf den Weg.
    Als ich das Lokal betrat, spielten bereits die "Blutigen
Deppen". Der Raum war brechend voll. Alle tanzten
wild durcheinander. Ich ließ mich durch das Gedränge
zur Bar treiben. Als ich es endlich geschafft hatte, mir
ein Bier zu bestellen, stand er neben mir.
"Ich wusste, dass du hier bist." Die laute Musik zwang
mich dazu, ihm ins Ohr zu schreien.
"Sie warten schon wieder auf uns."
Mit dem Kopf deutete er nach draußen. Ich sah, wie
die
Blaulichter
der
Polizeiautos
das
Dunkel
durchzuckten. Wir verzogen uns in einen Winkel unter
der Garderobe. Er musste sich ducken. Als die
Musiker eine Pause einlegten, stellte er sich mir vor:
"Ich bin Alexej. Ich bin fast jeden Abend hier. Wo
treibst du dich herum?"
"Ich heiße Franka. Ich arbeite in einer Fabrik."
Ich war seinem Körper nahe genug, um sein
Versprechen zu spüren. Es war eine Weichheit, die
mich in sich aufzunehmen drohte, die mich anzog,
ohne an mir zu zerren. Ich spürte, dass ich einfach in
ihn hineinfallen würde, um danach nie mehr etwas von
dem zu brauchen, womit ich bisher abgespeist worden
war. Sobald ich mich an ihn schmiegen würde, würde
sie endlich auch auf mich übergehen. Während wir
sprachen, wollte ich ihn unterbrechen und fragen:
"Wie kannst du so ruhig bleiben?" Sein entspanntes
Lächeln machte mich beinahe wütend.
    Wir wurden von der Polizei unterbrochen, die durch
die Lautsprecher ihre Bedingungen formulierte. Die
Räumung sollte in einer halben Stunde beginnen.
Laute Pfiffe und Gejohle ertönten anstelle einer
Antwort. Alexej verzog keine Miene. Ich sagte "Scheiß
Bullen", weil ich wusste, dass ich damit nichts Falsches
sagen würde. Sein Gesicht kam meinem Gesicht so
nah, dass ich es nicht mehr erkennen konnte. Haut
und Haare sah ich, aber nicht ihn, den ich nicht
aufhören wollte anzusehen.
"Lass uns gehen." Alexej schob mich nach draußen.
Ich ließ es geschehen, obwohl ich diesmal keine Angst
vor der Polizei hatte. Die Band hatte wieder
angefangen zu spielen. Von allen Seiten wurde ich von
den Tänzern gestoßen und getreten, aber ich spürte
nur den sanften Druck von Alexejs Hand auf meiner
Schulter. Wir fuhren mit dem Fahrrad zu mir. Plötzlich
war ich froh, dass Eva nicht da war. In der Küche
saßen wir uns gegenüber.
"Wir hätten bleiben sollen, um für das Kollektiv zu
kämpfen", hielt ich ihm vor.
Alexej grinste: "Wir verpassen die Revolution."
Er legte mir seine Hand auf den Oberschenkel und
fragte: "Ist das in Ordnung für dich?"
Ich sah ihm in die Augen und antwortete: "Ich kann es
aushalten." Ich küsste ihn auf den Mund, die
Zimmerwände begannen sich um uns zu drehen. Er
hob mich vom Stuhl auf und trug mich in mein
Zimmer aufs Bett. Er küsste mich auch. Ich hörte den
Autolärm. Alexej roch unter den Achseln nach Cumin.
Die Lampe an der Decke war mein Halt. Ich hielt
mich fest an ihrem weißen Häkelmuster, an den vier
Ringen, die sie umspannte, und ihren Fransen, die mir
Gewissheit darüber gaben, dass ich weiterleben würde,
denn die Lampe war da, auch wenn ich jetzt weg war.
Alexejs Haut legte sich auf mich wie zarter, goldener
Flaum, ich atmete seinen Ledergeruch. Ich wollte
hineinbeißen. Ich drehte mich um und um, bohrte den
Kopf ins Kissen, schraubte ihn in das blaue
Schiffsmuster, in den willigen Baumwollstoff, spürte
ihn auf mir liegen, wovon mir seltsamerweise leichter
wurde. Abheben wollte ich und dann fallen endlich.
Am besten in ein Wehr hinein zusammen mit Alexej,
denn wer in ein Wehr gerät, der kann sich nicht mehr
wehren, und genau das wollte ich, deshalb schrie ich
wie ein Kind und Alexej lachte wie ein Arzt, der als
einziger noch lachen kann mit dem Kind, bevor es
einschläft auf dem Operationstisch, damit man ihm
den Tumor aus dem Kopf schneiden kann. Aber ich
lachte auch.
Ich beobachtete ihn beim Anziehen. Er rieb sich mit
der Hand am Kinn.
"Bist du aus Russland?", fragte ich ihn.
"Ich studiere russische Literatur. Ich höre russische
Musik. Ich esse russisches Essen. Aber ich bin leider
ein Deutscher."
Er saß an meinem Bett und machte einen krummen
Rücken. Mir war kalt geworden. Ich stand auf, zog
mich schnell an und kochte Kaffee. Wir saßen am
selben
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