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Die Nachzüglerin (German Edition)

Die Nachzüglerin (German Edition)

Titel: Die Nachzüglerin (German Edition)
Autoren: Regine Sondermann
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unmöglich, ihm spontan in
die Sowjetunion hinterher zu reisen. Konnte ich seine
Mutter nach der Strafanzeige fragen? Wenn sie nichts
davon wusste, würde Alexej ein Problem haben.
"Soll ich Alexander von dir grüßen, wenn er anruft?"
Ihr Angebot klang wie eine Bitte.
"Grüßen Sie ihn von Franka."
Warum bedankte sie sich dafür bei mir? Wollte sie mit
meiner Hilfe die Kommunikation mit ihrem Sohn neu
beleben? Ich wollte ihr Gesprächsstoff verschaffen.
"Wissen Sie, dass Ihr Sohn verhaftet wurde?"
Sie lachte.
"Nachdem sie unser Haus durchsucht hatten, haben
sie die Anklage fallen lassen. Wir konnten uns nicht
dagegen wehren. Sie haben ein altes Flugblatt über den
Hungerstreik der RAF bei ihm gefunden."
"Meine Eltern hätten mich umgebracht", stöhnte ich.
"Alexander kann doch nichts dafür."
Das Kindergeschrei im Hintergrund wurde wieder
lauter, sie musste sich verabschieden. Ich bedauerte,
dass sie auflegen musste.
    Zu Hause wartete mein Schutt- und Scheiterhaufenzimmer auf mich. Seitdem Eva weg war, hatte ich
nicht aufgeräumt. Ich warf Bücher, Zeitungen und
Kleider vom Bett und legte mich auf den Rücken. Der
Regen goss über den Rand der kaputten Dachrinne,
dabei platschte das Wasser so laut vor dem Fenster, als
lachte es über mich. Als es an der Tür klingelte, zwang
ich mich aufzustehen. Ich wollte niemanden sehen
außer Alexej. Es klingelte wieder und wieder. Als ich
Evas Eltern sah, hätte ich die Tür am liebsten gleich
wieder zugemacht.
    Obwohl Eva und ich die Möbel nach und nach vom
Sperrmüll geholt hatten, sah sich Evas Vater um wie
ein Gutachter nach einem Wohnungsbrand.
"Ihr haust in einer Fixerbude", warf er mir vor.
"Zehntausend Mark müsste man hier reinstecken."
Ich zeigte ihnen Evas Zimmer. Ihre Hoffnung, dass es
wenigstens bei ihr ordentlich aussehen würde, musste
ich enttäuschen. Evas Mutter geriet mit einem ihrer
hohen Absätze an eine herumliegende Unterhose und
schleifte sie ein paar Meter mit. Als sie es bemerkte,
streifte sie sie ab wie ein ekeliges Insekt. "Ich habe Eva
ein paar hübsche Gardinen ausgesucht. Warum hat sie
sie nicht aufgehängt?"
Ich zuckte mit den Schultern. Eva hatte mir nie etwas
davon erzählt.
"Wie geht es Eva?", fragte ich.
Evas Vater schleuderte das Buch über Nicaragua, in
dem er herumgeblättert hatte, auf den Boden.
"Diese verdammten Kommunisten."
Die Mutter hob das Buch auf und wischte mit den
Fingern den Staub davon ab. "Eva geht es sehr gut. Sie
arbeitet jetzt auf einer alternativen Farm. Ihr hättet
doch wenigstens die alten Möbel nehmen können, die
bei uns im Keller stehen. Die waren sehr teuer, als wir
sie gekauft haben."
Der Vater sah an mir herunter, als sei ich eines von
Evas Möbelstücken.
"Es ist gut, dass sie sie nicht genommen hat. Sie hätte
sie nur kaputtgemacht. Ich habe keine Lust, diesen
Saustall hier aufzuräumen. Es ist mir egal, was mit den
Sachen hier passiert. Sie können den ganzen Müll vom
Roten Kreuz abholen lassen."
Er gab mir nicht die Hand. Evas Mutter zuckte die
Achseln. "Sie wird doch irgendwann wiederkommen",
wollte ich sie trösten, da sie so hilflos aussah. Der Duft
ihres Parfums hing noch eine Weile in der Luft. Es
roch gut. Würde Eva jetzt kommen, dann könnte sie
riechen, dass ihre Mutter dagewesen war. Ich vermisste
Eva. Ich ging durch die Wohnung wie durch ein
Museum.
Zuerst hatten wir nur auf Matratzen geschlafen, bis wir
endlich zwei alte Ehebetten gefunden hatten. Jede
stellte eines davon in ihrem Zimmer auf. Ich lackierte
meines rosa und Evas Bett wurde hellgrün. Wir
wollten kein Telefon, da wir vermeiden wollten, dass
unsere "echten" Gespräche gestört wurden, wenn der
Apparat klingelte. Wir schafften uns auch keinen
Fernseher an. Eva war eine Vereinfachungsfanatikerin.
Sie meinte, wir sollten auf die Spiegel einfach
verzichten, um uns nicht vom Schönheitsideal
unterdrücken zu lassen. Ich entgegnete, dass es mir
egal sei, was andere über mein Aussehen denken
würden, die Spiegel müssten aber bleiben, und sie
müsse ja nicht hineinsehen.
    An den Fenstern zogen wir Pflanzen. Wir ließen
Sonnenblumen und Gräser in Blumentöpfen groß
werden. Jetzt sahen sie welk aus. Ich füllte Wasser in
eine leere Colaflasche und goss sie. Besonders stolz
waren wir auf unser schwarzes Ledersofa, das wir bei
der Mission bekommen hatten, und auf unsere
gemeinsame Plattensammlung. Ich legte eine Platte
von Janis Joplin auf. Mitten in ihrem Plärrgesang
"Freedom's just another word for nothing left to
loose" hob ich die
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