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Die Nachtwanderin

Die Nachtwanderin

Titel: Die Nachtwanderin
Autoren: T. J. Hudspeth
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Entscheidung Mimi." Damit beendete sie ihren Monolog. Mimma versuchte die Worte ihrer Mutter zu verarbeiten und zu verstehen, was sie ihr gerade mitgeteilt hatte. Mimma wurde klar, dass ihre Mutter zum ersten Mal richtig gehandelt hatte. Ihre Mutter suchte wieder den Augenkontakt mit ihr. Mimma nickte und gab ihr somit zu verstehen, dass sie mit dieser außergewöhnlichen Entscheidung einverstanden war. Erleichtert fiel Mimmas Mutter ihr um den Hals und drückte sie fest an ihre Brust. Erschrocken streckte Mimma zuerst ihre Arme von sich, denn sie wurde noch nie umarmt, geschweige denn von ihrer eigenen Mutter, doch dann erwiderte sie die Umarmung und drückte sie ebenfalls fest an ihre Brust. Dann sagte Mimma etwas, dass sie zuvor noch nie sagte.
"Mom, ich liebe dich!"
Bei diesen Worten quollen Mimma erneut die Tränen aus den Augen, doch diesmal vor Freude. Zum ersten Mal verspürte sie ein Glücksgefühl. All der Zorn und Hass und all die Wut, die Mimma gegen ihre Mutter gehegt hatte, verpufften plötzlich durch diese eine noble Tat ihrer Mutter. Mimma löste sich aus der Umarmung, stand auf und ging in ihr Zimmer, das mehr einer Putzkammer glich, als einem angemessenen Zimmer für einen jungen Teenager. Sie packte ihre wenigen Habseligkeiten zusammen, die sich über die Jahre angesammelt hatten. Darunter waren all ihre Bücher, nur eine Handvoll, denn sie hatte nie das Geld, um sich mehr zu leisten. Bücher, die ihr die Welt bedeuteten, denn das war alles, was sie in all den Jahren voller Qualen und Hass hatte. Auf ihre Bücher konnte sie sich verlassen. Egal zu welcher Zeit und egal wie oft sie die Bücher laß, sie ließen Mimma nie im Stich und entführten sie aus ihrer tristen und lieblosen Welt, in eine Fantasiewelt voller Glanz und Wohlstand und das wichtigste, in eine Fantasiewelt voller Liebe. Und am besten konnten das die Romane von Jane Austen.
Behutsam verstaute sie die Bücher zusammen mit ein paar alten Jeans, T-Shirts, Longsleves und Unterwäsche, in einer roten Umhängetasche. Aus dem Badezimmer holte sie sich ihre Zahnbürste, eine bereits angebrochene Tube Zahnpaste, ein Stück Seife, ein Handtuch und die Hälfte eines in der Mitte zerbrochenen Kammes. Das war alles, was sie benötigte. Sie wusch sich ihr von Tränen verklebtes Gesicht, dann blickte sie in den Spiegel und was sie sah, war Zufriedenheit, zum ersten Mal. Ansonsten hatte sie keine Andenken. Keine Fotos. Nichts. Alles was Mimma blieb, war die Erinnerung. Sie hörte die Stimmen ihrer Geschwister in ihren Zimmern, doch mit ihnen verband sie nichts. Ebenso hätten es wildfremde Menschen sein können und sie wusste nicht, weswegen sie sich von wildfremden Menschen hätte verabschieden sollen.
Ihre Mutter saß noch immer am Küchentisch. Als sie Mimmas Schritte hörte, erhob sie den Kopf, doch sie hatte nicht die Kraft aufzustehen, um ihr Lebewohl zu sagen. Sie kämpfte mit den Tränen, als Mimma mit der gepackten Tasche vor ihr stand und verlor den Kampf. Wie eine niemals versiegende Quelle, schossen ihr die Tränen aus den Augen und befeuchteten ihr mit Sorgenfalten verunstaltetes Gesicht. Keiner der Beiden sagte ein Wort. Mimma ging zu ihrer Mutter und gab ihr einen Kuss zum Abschied auf die Wange. Der erste und der letzte Kuss. Denn beide wussten, dass sie sich nie mehr wieder sehen würden. Als Mimma zu Tür hinaus ging, drehte sie sich ein letztes Mal um und warf ihrer Mutter ein Lächeln zu. Es war ein Lächeln, dass ihr all die qualvollen Jahre, die Mimma hatte durchleben müssen, verzieh. Mimmas Mutter erwiderte schweren Herzens dieses Lächeln und formte mit den Lippen ein stummes Ich liebe dich. Dann zog Mimma die Tür ins Schloss. Das war das letzte Mal, dass sich Mimma und ihre Mutter sahen.
    *****

    Mimma reiste einige Wochen durchs Land. Entweder fuhr sie schwarz mit dem Zug, oder per Anhalter. Immer wieder erbarmte sich jemand und nahm sie ein Stück mit. Sie hatte kein bestimmtes Ziel vor Augen. Ihr war nur wichtig, dass sie sich so weit wie möglich von ihrem Geburtsort entfernte und eine große Stadt fand, in der es nicht auffiel, dass eine minderjährige alleine war, ohne gesetzlichen Vormund. Sie lebte von der Hand in den Mund, klaute hie und da etwas zu essen, schlief in abrissfälligen Gebäuden. Wo immer sich ihr die Möglichkeit bot, wusch sie sich und putzte sich die Zähne, damit sie gepflegt und nicht wie ein verlottertes Straßenkind aussah. Den Leuten mit denen sie per Anhalter fuhr, erzählte sie immer
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