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Die Nacht von Sinos

Die Nacht von Sinos

Titel: Die Nacht von Sinos
Autoren: Jack Higgins
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Mund mit verächtlich hochgezogenen Mundwinkeln, die anerzogene Arroganz echter Aristokraten.
    Aus irgendeinem Grund nickte ich ihr zu. Sie rief herüber: »Schaffen Sie es?«
    Ihr geziertes Englisch hatte mir gerade noch gefehlt, um mein irisches Blut in Wallung zu bringen. In betont breitem Dialekt rief ich zurück: »Warum denn nicht? Ein herrlicher Tag zum Sterben, wie meine Großmutter immer sagte.«
    Das reichte schon. Von diesem Augenblick an hatte sie mich bis auf die Knochen durchschaut. Sie verzog die Lippen, aber diesmal zu einem Lachen. Ich setzte die Maske auf und ging über Bord. Dann hielt ich inne, regelte die Luftzufuhr und stieg entlang der Ankerkette hinunter.
    Es war ein Fehler. Für dieses Spiel war ich zu müde. Ich spürte, wie mir die Kälte bis in die Knochen drang. Aber das war es nicht allein. Wenn man hinabtaucht, filtern die tieferen Wasserschichten das Sonnenlicht und absorbieren alle roten und orangefarbenen Strahlen. Bei etwa zwanzig Metern erreichte ich eine neutrale Zone. Die Sicht war gut, aber alle Farben wirkten herbstlich gedämpft.
    Aus dem grünen Dunst blühte auf einmal der Fallschirm auf. Ich geriet mitten hinein und hatte eine Weile zu tun, um mich aus den Falten zu befreien. Erneut preßte die Angst meinen Magen zusammen. Dieselbe Angst hatte ich im vergangenen Jahr erlebt, als ich hilflos im schwarzen Schlamm des äußeren Hafens von Alexandria steckte und den Tod erwartete, während das eiskalte Wasser im Innern meines Helms bis ans Kinn stieg.
    Plötzlich hatte ich wieder Luft und glitt mit dem Messer in der Hand auf den Piloten zu. Ich schnitt die Leinen des Fallschirms durch, der sofort wegschwebte und so den Blick auf den Mann freigab. Seine Augen waren wie in entsetztem Staunen aufgerissen, einen Arm hatte er hochgehoben, als wollte er nach einem festen Halt greifen. An der Kette um seinen Hals hing ein winziger, goldener Davidstern.
    Armer Kerl, er sah noch so jung aus. Ich konnte ihn doch nicht hier unten in der Kälte lassen. Ich glaube, das war der Augenblick, wo die Angst von mir wich, aber ich war entsetzlich müde. Ich werkelte gut eine Minute an den Gurten des Schleudersitzes herum, bevor ich den Piloten frei hatte. Sein Arm legte sich um meinen Hals. Es kam mir auch ganz natürlich vor, daß ich ihm meinen Arm um die Mitte legte, und so stiegen wir auf.
    Mein Gott, ging das langsam. Mein Verstand schien nicht mehr zu funktionieren, und ich war in einer endlosen Spirale gefangen. Ziemlich überraschend erreichte ich die Wasseroberfläche und war näher an dem Motorboot als an der ›Gentle Jane‹.
    Für den Bruchteil einer Sekunde sah ich, wie das Mädchen mich anstarrte, dann sank ich wieder hinunter. Ich tauchte ohne den Piloten erneut auf und stellte fest, daß ihr Begleiter ins Wasser gesprungen war und den Toten festhielt. Ohne viel zu überlegen, schwamm ich auf das Boot zu, und das Mädchen hielt meine Hand fest, als hätte sie nicht die leiseste Absicht, mich jemals wieder loszulassen, auch dann nicht, wenn sie mit mir untergehen müßte.
    »Immer mit der Ruhe«, sagte sie. »Sie sind ganz schön fertig.«
    Mit ihrer freien Hand hakte sie eine kurze Leiter an der Reling ein, und ich kletterte unter Aufbietung aller noch vorhandenen Kräfte hinauf. Hinter mir zerrte ihr Freund inzwischen den toten Piloten hinüber zur ›Gentle Jane‹.
    Ich zog mir die Gesichtsmaske ab und spürte, daß ihre Hände inzwischen an den Gurten meines Atemgeräts arbeiteten. Ich war benommen, Blitze zuckten mir vor den Augen, die Sonne schien viel zu hell, und ihr Duft betäubte meine Sinne. Es war alles wie in einem sehr, sehr eigenartigen Traum.
    »Was für ein Parfüm benutzen Sie?« fragte ich.
    Leise lachend befreite sie mich von der Aqualunge. »Intimacy«, antwortete sie.
    »Das ist wirklich mehr als ein Mann ertragen kann«, sagte ich und schlug die Augen auf.
    Die Sonne war jetzt hinter ihr, das blaßgoldene Haar umgab ihren Kopf wie eine weiße, strahlende Wolke, und ihre seltsamen grauen Augen wühlten mich auf.
    »Wie mag das Haar wohl auf einem Kissen aussehen?« murmelte ich.
    »Ein Ire.« Sie beugte sich über mich. »Hätte ich mir denken sollen. Wie heißen Sie?«
    »Jack Savage.«
    »Also, Jack Savage, jetzt bringen wir Sie nach Hause.« Sie warf die Maschine an, wendete das Boot geschickt und legte elegant an der ›Gentle Jane‹ an. Der Gladiator kam tropfnaß an Bord. Er hatte wirklich die Statur eines Schwergewichtlers.
    Er streckte die Hand aus.
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