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Die Nacht von Granada

Die Nacht von Granada

Titel: Die Nacht von Granada
Autoren: Brigitte Riebe
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eine lustlose Katzenwäsche. Danach schlüpfte sie über ihrem Kleid in eine dicke Jacke, die so weit war, dass sie beinahe zweimal hineingepasst hätte, aber am besten von allem wärmte. Hier, in der Weltabgeschiedenheit der Berge, gab es niemanden mehr, der ihr verboten hätte, Nuris Gewänder anzulegen – oder umgekehrt. Jeder hüllte sich in das, was gerade zur Hand war, um der Kälte zu trotzen. Eitelkeiten hatten sie alle hier oben schon lange abgelegt, und so zog sie gleich drei Paar Socken übereinander an, um einigermaßen warme Füße in den Pantinen zu bekommen, die Antonio für sie aus Olivenholz geschnitzt hatte.
    Den einzigen Spiegel, der sich in Tante Pilars Gepäck befunden hatte, hatte Fuego erst neulich im übermütigen Spiel hinuntergestoßen. Nun musste sie sich mit einer gezackten Scherbe begnügen, die das Bild eines jungen Mädchens mit wirren rotblonden Locken zurückwarf, das verdrossen und frierend zurückblickte.
    Lucia schnitt sich selbst eine Grimasse und musste plötzlich lachen. Dann ging sie die schmale Treppe hinunter, um nach dem Feuer zu schauen.
    Sie hatte sich bemüht, bei allem, was sie tat, möglichst leise zu sein, um keinen der anderen vor der Zeit aufzuwecken, doch es war ihr offensichtlich wieder einmal nicht gelungen. Oben hörte sie Nuri halblaut mit dem Kater schäkern, und als sie die Tür aufstieß, um frisches Holz zu holen, und die kalte Morgenluft in ihre Lungen strömte, traf sie auf Miguel, der zu ihr trat und mit anpackte, ohne erst lange zu fragen.
    Er erschien Lucia bisweilen als der eigentliche Gewinner ihrer Flucht.
    Im Einklang mit der Natur, die sie umgab und von der ihm ein ordentlicher Teil gehörte, der sie alle nähren musste und den er so offen und großherzig mit ihnen teilte. Voller Vorfreude auf die Arbeit an seinen Olivenbäumen, die schon bald wieder beginnen würde. Selig bei der Aussicht, binnen Kurzem für immer mit seiner Liebsten vereint zu sein. Miguels Gesicht spiegelte den inneren Frieden wider, der in ihm herrschte, er wirkte gelassen, fröhlich, ohne Selbstzweifel oder sonstige Anfechtungen.
    Und wenn sie damals eine andere Wahl getroffen hätte? Sich nicht in Rashid, sondern in Miguel verliebt hätte?
    Der Gedanke fuhr durch Lucia wie ein Blitz. Miguels schmale Hände, die Locken, die goldenen Augen, der aufrechte Charakter – auch sie hätte sich an seiner Seite an all dem erfreuen können!
    Schnell schaute sie zu Boden, weil sie sich schämte, doch seinem aufmerksamen Blick war nichts entgangen.
    »Kein guter Tag, Lucia?«, sagte er leise und trat näher zu ihr, ohne sie berühren.
    Stumm schüttelte sie den Kopf.
    »Aber doch nur, weil du dich noch gar nicht richtig umgeschaut hast«, fuhr Miguel aufmunternd fort. »Siehst du denn gar nichts?«
    Auch Nuri war inzwischen heruntergekommen, das Haar noch vom Schlaf zerstrubbelt, von Kopf bis Fuß in zwei Lagen Decken gehüllt, um sich warm zu halten. Ihr Gesicht begann zu leuchten, als sie Miguel erblickte, und Lucia fühlte sich plötzlich überflüssiger denn je.
    »Was meinst du?«, fragte Lucia mürrisch zurück. »Vielleicht den dicken Schnee, der so fest an meinen Pantinen klebt, dass ich kaum vorwärtskomme?«
    »Weiter entfernt!« Seine Stimme klang unvermindert freundlich.
    Sie kniff die Augen zusammen.
    Da war doch nichts als Himmel und Bäume, schneebedeckte Bäume. Und schroffe Felsen, weiter oben, dort, wo die Baumgrenze aufhörte.
    »Ich sehe nichts«, sagte sie. »Nichts außer …« Sie verstummte abrupt.
    Wo gerade noch eine Lücke zwischen zwei Bäumen gewesen war, die ihre kahlen, mit dicken Schneehaufen bepackten Äste in den Himmel streckten, war auf einmal etwas Dunkles.
    Ein Tier?
    Wenn ja, dann hatte sie diese seltsame Rasse noch nie zuvor gesehen. So groß und unförmig, wie es ihr erschien, bewegte es sich trotzdem erstaunlich schnell voran.
    Das war kein Tier, erkannte Lucia plötzlich. Das war ein Reiter auf einem Maultier, der direkt auf die weißen Häuser zuhielt!
    Angst griff mit eisiger Hand nach ihr. Hatte man sie schließlich doch verraten – und das hier war das Ende, vor dem sie sich alle seit Monaten fürchteten?
    Lucia bemühte sich, halbwegs ruhig zu atmen. Offenbar war es nur ein Reiter. Wäre es ein Soldat oder ein Söldner gewesen, wie sie zunächst befürchtet hatte, dann wäre er nicht allein unterwegs – und er trug ja nicht auch das Barett der Rotkappen.
    Sein Haar war dunkel und wehte hinter ihm her, weil er nun in Galopp verfiel, als
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