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Die Nacht von Granada

Die Nacht von Granada

Titel: Die Nacht von Granada
Autoren: Brigitte Riebe
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könne er es kaum erwarten, näher zu kommen. Sein Atem stieß Wolken in die klare Luft, ebenso wie der seines Maultiers, das vor Anstrengung schaubte.
    Lucias Gedanken wirbelten wie in einem bunten Kaleidoskop durcheinander. Sie kniff die Lider zusammen, riss dann die Augen erneut auf.
    Der Reiter war näher gekommen.
    Es war kein Traum, sondern ganz real. Der freudige Schreck fuhr Lucia in alle Glieder. Plötzlich stand sie wie angewurzelt, unfähig, sich zu rühren.
    Dann aber kehrte Leben in ihre Glieder zurück.
    Nuri hinter ihr stieß einen Schrei aus, während Lucia die lästigen Pantinen beiseiteschleuderte und in Socken auf den Reiter zurannte.
    Der Reiter erhob sich im Sattel und winkte.
    »Lucia«, hörte sie ihn rufen. »Lucia. Lucia!«
    Tränen rannen über ihr Gesicht. Da hörte sie hinter sich auf einmal seltsame Geräusche. Im Laufen wandte Lucia sich halb um.
    Sie sah Nuri, die wie wild strampelte und sich losreißen wollte, während Miguel, der mit beiden Händen ihre Decken gepackt hatte, sie daran hinderte. Ein befreites Lachen stieg in Lucia auf, während sie weitereilte.
    Der Reiter auf dem Maultier war inzwischen so nah, dass sie Einzelheiten erkennen konnte. Was für eine harte Zeit hinter ihm liegen musste! Quer über die Stirn zog sich eine wulstige rote Narbe. Die Wangen unter dem dunklen Bart waren derart eingefallen, dass er eher einem Eremiten als einem Krieger glich, doch seine Schlehenaugen schimmerten warm und kraftvoll, wie Lucia sie seit Jahren kannte.
    Und so sehnsuchtsvoll schauten sie sie an!
    Wie hatte sie ohne ihn auch nur einen einzigen Tag überleben können? Diesen Augenblick würde Lucia niemals vergessen, das schwor sie sich in diesem Augenblick – und wenn noch hundert weitere Jahre vor ihr lagen.
    »Rashid!«, rief sie und streckte die Arme nach ihm aus, während er abstieg und auf sie zulief.
    Und dann war er endlich bei ihr angelangt.
    Als Lucia die Berührung seiner Hand spürte, die sie ungeduldig zu ihm heranzog, linste sie für einen Lidschlag nach oben. Der Himmel, zuvor noch von dicken Wolken verhangen, hatte aufgerissen.
    Über ihnen helles, leuchtendes Blau.
    Der Frühling ist nicht mehr aufzuhalten, dachte Lucia. Ebenso wenig wie das Glück!

Nachwort
    A l Andalus«, so nannten die Berber, die 710 zum ersten Mal in kriegerischer Absicht auf der Iberischen Halbinsel landeten, den Süden des Landes, das später einmal Spanien heißen sollte. Und dieses Andalusien, wie es heute heißt, muss jenen Wüstenkriegern wie das Paradies auf Erden erschienen sein: grün und saftig, mit vielen Pflanzen und Bäumen, von denen sie bislang nur hatten träumen können. Bis ins Jahr 1492, in dem auch Christoph Columbus Amerika entdeckte, dauerte ihre Herrschaft, dann fiel als letzte maurische Bastion Granada.
    Wem von uns ist heute noch bewusst, dass die Mauren damit 781 Jahren über Spanien geherrscht haben?
    Wenn man heute quer durch Spanien reist, sieht man noch viele der grandiosen Baudenkmäler, die sie geschaffen haben, und manchmal, besonders in Andalusien, könnte man beim Anblick gewisser Gesichter mit arabischem Einschlag glauben, in ihnen spiegle sich das Erbe ihrer maurischen Vorfahren. Warum das nicht möglich ist, möchte ich mit diesem kurzen historischen Abriss erklären: Spanien hat sich seiner Mauren tatkräftig und zum Teil auch sehr grausam entledigt, ein Prozess, der beinahe über 150 Jahre dauern sollte.
    Allerdings schlägt die Geschichte manchmal zurück: Seit den Siebzigerjahren des letzten Jahrhunderts drängen immer mehr Menschen aus Nordafrika auf die Iberische Halbinsel. Das Albaycín, ehemaliges Maurenviertel in Granada, in dem die beiden Familien meines Romans leben, ist heute wieder fest in ihrer Hand, ebenso wie die verschiedenen Märkte und Geschäfte.
    Die Mauren sind also zurück in Granada!
    Die Rückeroberung von christlicher Seite ging unter dem Namen »Reconquista« in die Geschichte ein. Ihre wohl berühmteste Galionsfigur ist der heilige Jakobus, auch als »Maurentöter« in zahlreichen Statuen dargestellt, wobei am Sattel seines Pferdes die abgeschlagenen Köpfe Ungläubiger baumeln. Seine Gebeine wurden im achten Jahrhundert in Santiago »gefunden« (in Wirklichkeit eher »erfunden«) und haben Tausende von Rittern in ganz Europa ermutigt, ihren bedrängten Standesgenossen im fernen Spanien im Kampf gegen die Mauren zu Hilfe zu eilen. Heute wälzen sich Jahr für Jahr Hunderttausende von Pilgern und sonstigen Sinnsuchern von den
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