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Die Nacht von Granada

Die Nacht von Granada

Titel: Die Nacht von Granada
Autoren: Brigitte Riebe
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und Pilar tragen. Die anderen beiden Stuten sind für Lucia und Saida bestimmt und für Antonio und Djamila. Die älteste und langsamste habe ich als Packmuli vorgesehen.« Er begann zu winken. »Beeilt euch! Es wird bald hell werden.«
    Er hat recht, dachte Lucia, die längste Nacht, die je über Granada hereingebrochen war, neigte sich tatsächlich dem Ende zu!
    Doch was Miguel und Tante Pilar so forsch angeordnet hatten, ließ sich nicht ohne Weiteres umsetzen. Vom geplanten Gepäck mussten sie vieles zurücklassen. Und auch die zahlreichen Kleidungsschichten, in die sie sich gewickelt hatten, um der Kälte im Gebirge zu trotzen, erwiesen sich als ungemein hinderlich.
    Schließlich jedoch hatten alle die Maultiere erklommen. Sogar Kamal, den sie zusätzlich mit Gurten am Sattel fixiert hatten, damit er einigermaßen sicher saß, schien halbwegs bei Sinnen.
    Und auch Fuego, der so lange miaut hatte, bis Lucia nicht mehr anders konnte, als sich seiner zu erbarmen, streckte seinen roten Kopf aus ihrer Satteltasche.
    »Dann los!« Im ersten Morgenlicht erhob Miguel seinen Arm, um die Richtung anzugeben, als sie plötzlich von Rotkappen umzingelt waren.
    Überall schienen die Söldner des toten Finsterlings zugleich zu sein, als hätte die Hölle ihre hässlichsten Dämonen auf einmal ausgespuckt, um sie zu vernichten. Sie hieben nach den Beinen der Maultiere, die angstvoll wieherten und versuchten, sich ihrer menschlichen Last zu entledigen, um zu fliehen, sie fluchten und schimpften, während sie ihre Schwerter schwangen.
    »In Namen unseren Herrn Lucero – der Tod sei mit euch!«
    Auf einmal schien alles verloren. Die ganzen Mühen völlig umsonst. Lucia und Nuri sahen sich schreckensbleich an, sogar Tante Pilars Züge erschlafften.
    Da jedoch erschallte ein lauter arabischer Kampfschrei – und alles war mit einem Mal schwarz von den dunklen Djallabas der Söhne Allahs, die wie eine Horde von angstlosen Derwischen* mitten in das Geschehen fuhren.
    Allen voran Rashid, das Schwert in der Hand, sein Gesicht eine Maske aus Rache und Zorn.
    »Ah! Im Namen meines Vaters!« Gleich zwei Söldner auf einmal stürzten zu Boden.
    Die anderen Krieger an seiner Seite taten es ihm nach, schwangen die Eisenwaffen so gewandt und treffsicher, als wären sie seit Langem damit vertraut.
    »Wir nützen die Attacke aus!«, rief Miguel. »Die nächste Lücke ist unsere Rettung!«
    Von hinten erschien wie ein düsteres Mahnmal Emilios hagere Gestalt. »Das werdet ihr mir büßen!«, schrie er. »Ihr seid des Todes – alle miteinander!«
    Wen meinte er?
    Offenbar hatte er sich unvorsichtigerweise mit einem der Rotkappen angelegt. Oder wollten sie den Verräter ausschalten?
    Ein Schwert fuhr ihm in den Leib, er gurgelte, griff sich an die Brust, fiel – und starb.
    »Los!«, befahl Miguel, und die Maultiere setzen sich in Bewegung, während Rotkappen und Muslime unvermindert miteinander fochten.
    Plötzlich tauchte direkt vor Lucia das Narbengesicht des blonden Hünen auf, der mit seinem Schwert auf die Beine des Maultiers zielte, um sie zu Fall zu bringen.
    »Rashid!«, schrie sie in Todesangst. »Rette uns!«
    Es dauerte keinen Lidschlag – und der Herbeigerufene war da und versetzte dem blonden Hünen einen Hieb mit seinem Schwert, der ihn zu Boden streckte.
    Für einen Augenblick stand Rashid ganz aufrecht, das dunkle Haar von den Strahlen der aufgehenden Wintersonne illuminiert – und Lucias Herz schien vor Liebe und Glück schier auszusetzen.
    Dann aber traf ihn ein Schlag von hinten, er stürzte zu Boden und rührte sich nicht mehr.
    »Rashid!« Lucias Stimme schien sich zu überschlagen. »Rashid – was ist mit dir!«
    »Weiter!«, hörte sie Miguel sagen. »Das ist unsere allerletzte Chance. Seht nicht hin. Er ist verloren. Ihr könnt ihm nicht mehr helfen!«
    Und während Lucias Hände sich in die Mähne der Stute krallten, die in Galopp verfiel, während Saida hinter ihr in lautes Weinen ausbrach, ließen sie mit jedem Schritt das schreckliche Schlachtfeld und die glimmende Stadt immer weiter hinter sich.

Epilog
    I n der Nacht war Neuschnee gefallen, nicht mehr das federleichte Pulver der vergangenen Monate, das alles ringsumher im Tal wie blendend weißer Zucker bedeckt hatte, sondern schwerer, nasser Schnee, der als Last auf dem flachen Dach lag, dessen blaugraue Lehmschicht sich bei Nässe schloss, und jedes Geräusch ringsumher dämpfte.
    Irgendetwas hatte Lucia dennoch aufgeweckt, und sie war schnell aufgestanden, um
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