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Die Nacht gehört dem Drachen (German Edition)

Die Nacht gehört dem Drachen (German Edition)

Titel: Die Nacht gehört dem Drachen (German Edition)
Autoren: Alexia Casale
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sehe aber vor mir, wie die Fransen am Schirm der Tischleuchte zu Asche werden, die auf den Couchtisch von Fionas Eltern segelt.
    »Deine Eltern … deine Adoptiveltern, meine ich, haben mir erzählt, dass deine Großeltern keine weiteren Angehörigen haben«, sagt die Polizistin an mich gewandt. »Wir ermitteln noch, ob sie ein Testament hatten oder es einen Notar gab. Und wir melden uns bei dir, sobald wir alles geklärt haben. Wir helfen dir gern, die … nun, die Beerdigung und so weiter zu organisieren, falls keine Vorsorge dafür getroffen wurde.«
    Ich höre kaum zu, denn ich habe unser altes Wohnzimmer vor Augen, wie in der Zeit erstarrt: Ich kann hinter der Lampe die alte, vergilbte Tapete mit dem verblichenen Wiesenblumen-Muster erkennen. Dann sehe ich, wie dort Flammen züngeln, wie das Muster auflodert, leuchtend hell, als wäre die Tapete nagelneu, aber das Muster wird von der immer weiter um sich greifenden Schwärze verschluckt, und die Tapete wird zu Asche, während sich das Feuer immer weiter in die Höhe und in die Breite frisst …
    »Heute möchten wir dich nur über die Vorgehensweise in solchen Situationen informieren. Vielleicht können wir dir beim Umgang mit deinem Verlust behilflich sein?«, sagt die Polizistin. »Wenn du magst, kann Brian dir erzählen, welche Hilfe wir zu bieten haben, während du die heiße Schokolade trinkst …«
    Der Polizist nickt und schluckt. »Hm«, sagt er und räuspert sich dann.
    Das Lächeln der Polizistin gefriert kurz, und ich merke, dass ihr Fuß zuckt, als wollte sie ihren Kollegen treten. »Vergiss nicht, dass du ihn jederzeit unterbrechen kannst, wenn du eine Frage oder dergleichen hast. Wir sind hier, um die Sache etwas leichter für dich zu machen, Evie. Wenn du nicht mehr magst, hören wir auf. Okay?«
    Sobald Amy die Tür hinter den Polizeibeamten geschlossen hat, komme ich seufzend auf die Beine.
    »Darf ich kurz in mein Zimmer gehen?«, frage ich Paul.
    »Wenn dir das guttut«, sagt Paul und gibt mir einen Kuss auf die Stirn.
    »Möchtest du wirklich allein sein, Evie, Liebes?«, fragt Amy, die gerade ins Wohnzimmer zurückgekehrt ist. »Wir könnten etwas spielen, vielleicht läuft auch etwas Schönes im Fernsehen. Wir müssen nicht darüber reden, wenn du nicht willst.«
    Ich lächele. »Vielleicht später. Ich möchte nur eine Weile in Ruhe nachdenken.«
    Amy beginnt, an ihrem Ehering zu drehen, immer ein Zeichen dafür, dass ihr etwas missfällt.
    »Gönnen wir dem Mädchen etwas Ruhe, Amy«, sagt Paul und steht auf, um ihr einen Arm um die Taille zu legen. »Du und ich, wir kochen etwas Nettes zum Abendessen, und Evie kann derweil ganz für sich sein.«
    Amy dreht ihren Ring beunruhigt in die entgegengesetzte Richtung, was bedeutet, dass sie gleich einwilligen wird. »Du rufst uns, wenn du dich quälst, nicht wahr, mein Liebes?«
    »Ich gehe nicht nach oben, weil ich heulen muss«, erwidere ich. »Ich will nur kurz nachdenken. Aber ich komme runter, falls mir doch noch nach Heulen zu Mute ist. Versprochen.«
    Paul grinst, aber Amy dreht ihren Ring so rasant wie einen Kreisel, schneller und schneller. »Vielleicht sollte ich kurz mitkommen«, stößt sie hervor und reißt so heftig an ihrem Ring, dass Paul ihre Hand ergreift.
    »Unsere Evie weiß genau, was sie braucht«, sagt er entschieden. »Und wenn sie ein paar Minuten allein sein möchte, dann finde ich das durchaus einleuchtend.« Er schmiegt sich gegen Amy. Sie versucht vergeblich zu lächeln, lässt sich jedoch von Paul in die Küche führen und ruft mich nicht zurück, während ich nach oben gehe.
    Es ist noch heller Tag, aber als ich meine Zimmertür hinter mir schließe, folgt mir der Drache mit seinem Blick. Sobald ich im Schneidersitz auf dem Bett sitze, springt der Drache zu mir, macht es sich auf meinen überkreuzten Beinen gemütlich und schaut selbstgefällig zu mir auf.
    »War das der Grund dafür, dass du mich letzte Nacht nicht geweckt hast?«, frage ich.
    Der Drache antwortet nicht, aber sein Lächeln wird breiter. Aus seinen Nüstern kräuselt Rauch.
    »Wir müssen uns in Acht nehmen«, flüstere ich. »Wir müssen uns sehr, sehr in Acht nehmen.«
    Heute bin ich früh zu Bett gegangen und habe lange genug Kassetten gehört. Jetzt habe ich keine Lust mehr, aber es ist noch zu früh, um mit dem Drachen nach draußen zu gehen. Als ich durch den Flur zur Treppe schlurfe, weil mir der Gedanke gekommen ist, dass eine zweite Portion Nachtisch wie gerufen käme, höre ich, dass
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