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Die Nacht des Zorns - Roman

Die Nacht des Zorns - Roman

Titel: Die Nacht des Zorns - Roman
Autoren: Fred Vargas
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Deine Angst, deine Verzagtheit, deine Schwindelanfälle. Du bist kein Marschall geworden, wie dein Vater gewollt hätte, du bist nicht mal Soldat. Und dieses Fiasko auf breiter Front ist in deinen Augen ein Drama, ein Drama, in dem es noch schlimmer kommen wird. Aber du, Émeri, bist nicht schuld an diesem Drama, Hippo hat es ausgelöst, indem er dich ›verdammte‹. Indem er dir jede Nachkommenschaft versagte, jedes glückliche oder doch ruhmreiche Leben verwehrte, was für dich auf dasselbe hinausläuft. Hippo ist die Quelle all deines Übels, deines bösen Geschicks, und er jagt dir immer noch Angst ein.«
    »Bleib vernünftig, Adamsberg. Wer würde diesen degenerierten Kerl fürchten, der verkehrt herum spricht?«
    »Glaubst du, man muss degeneriert sein, um die Buchstaben umkehren zu können? Natürlich nicht. Man muss mit einem ganz besonderen Genie begabt sein. Einem teuflischen Genie. Das weißt du, so wie du weißt, dass Hippo unschädlich gemacht werden muss, zu deinem Schutz. Du bist erst zweiundvierzig Jahre alt, du kannst noch mal von vorn anfangen. Seit deine Frau dich verlassen hat und seit dem Selbstmord von Régis vor drei Jahren, der dich vollendsin Panik versetzt hat, ist das dein Wahn. Denn du bist ein Mensch der Wahnvorstellungen. Siehe dein Empire-Zimmer.«
    »Das ist schlicht Ehrfurcht, aber so was kannst du nicht begreifen.«
    »Nein, es ist Größenwahn. Deine tadellos sitzende Uniform, die kein Stück Zucker ausbeulen darf. Deine soldatische Haltung. Und ein einziger Mensch ist verantwortlich für das, was du als ungerechtes, unerträgliches, schmachvolles und vor allem bedrohliches Desaster ansiehst: Hippolyte Vendermot. Doch der Fluch, den er auf dich geworfen hat, erlischt erst mit seinem Tod. Aus neurotischer Sicht sozusagen ein Fall von legitimer Verteidigung, hättest du nicht vier weitere Menschen umgebracht.«
    »In diesem Fall«, sagte Émeri und warf sich wieder einmal in den Stuhl zurück, »hätte es doch genügt, nur einfach Hippo zu töten.«
    »Gewiss, aber was du mehr als alles fürchtest, ist, für seinen Tod verantwortlich gemacht zu werden. Und das liegt nahe. Denn alle Welt hier weiß von eurer Kindheit, von deinem Fahrradunfall mit zehn Jahren, nach deiner ›Verdammung‹, von deinem Hass auf die Vendermots. Du brauchst ein Alibi, um dich vollkommen sicher zu fühlen. Ein Alibi und einen Schuldigen. Du brauchst eine umfassende und geschickte Strategie, wie in Eylau. Die wohldurchdachte Strategie, mit der allein man, wie der Kaiser, eine zweifache Übermacht besiegen kann. Und Hippolyte Vendermot ist gut zehnmal stärker als du. Aber du bist der Nachfahre eines Marschalls, verdammt noch mal, du kannst ihn vernichten. ›Wirst du dich von diesen Leuten verschlingen lassen?‹, wie der Kaiser gesagt hätte. Nein, ganz gewiss nicht. Aber unter der Voraussetzung, dass du alle Unebenheiten im Gelände berücksichtigst. Du brauchst einen Marschall Ney, der zu Hilfe kommt, als Davout auf seiner rechten Flanke bedroht ist. Darum hast du Denis aufgesucht.«
    »Ich sollte bei ihm gewesen sein?«
    »Vor einem Jahr warst du beim Grafen zu einem Diner mit einigen Honoratioren geladen, darunter Dr. Merlan, dem Vicomte Denis natürlich, Auktionator von Évreux, und anderen. Dabei hatte der Graf einen Schwächeanfall, du hast ihn mit Hilfe des Doktors zu seinem Zimmer begleitet. Merlan hat mir das erzählt. Ich vermute, an dem Abend hast du Kenntnis von dem Testament erhalten.«
    Émeri lachte auf, es war ein echtes Lachen.
    »Warst du dabei, Adamsberg?«
    »Sozusagen. Ich habe es mir vom Grafen bestätigen lassen. Er hat geglaubt, er würde sterben, da hat er dich dringlich um sein Testament gebeten und dir den Schlüssel zum Safe gegeben. Er wollte, bevor er starb, seine beiden Kinder Vendermot darin aufnehmen. Also hat er mühsam ein paar Zeilen aufs Papier gebracht und dich gebeten, gegenzuzeichnen. Er verließ sich auf deine Diskretion, du warst Capitaine, du warst ein Ehrenmann. Aber natürlich hast du diese Zeilen gelesen. Und es hat dich überhaupt nicht verwundert, dass der Graf solche Ungeheuer wie Hippo und Lina in die Welt gesetzt hat. Du hast das Mal auf seinem Rücken gesehen, als Merlan ihn abhorchte. Du kennst das von Lina, der Schal rutscht ihr ja ständig herunter. Und für dich ist das keine Kellerassel mit ihren Fühlern, es ist eine gehörnte rote Teufelsfratze. All das bestätigt dich in der Vorstellung, dass diese Nachkommenschaft gottverdammte Bastarde sind. Und
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