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Die Nacht des Zorns - Roman

Die Nacht des Zorns - Roman

Titel: Die Nacht des Zorns - Roman
Autoren: Fred Vargas
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war.
    Niemand schien Adamsbergs Eintreffen zu bemerken. Martin hämmerte mit kleinen Stößen in einem fast leeren Mörser herum, während Hippo, für gewöhnlich der Chef im Hause, um das Zimmer lief, mit dem Zeigefinger über die Wände streichend, als wenn er dort eine unsichtbare Linie zöge. Ein Kinderspiel, sagte sich Adamsberg. Hippo bautesein Leben neu auf, und damit würde er noch lange zu tun haben. Antonin verfolgte ängstlich den zügigen Schritt des Bruders, wechselte ständig den Platz, um zu vermeiden, dass er im Vorbeigehen mit ihm zusammenstieß. Lina machte sich eigensinnig an einem der Stühle zu schaffen, wo sie mit dem Fingernagel kleine Farbplättchen abkratzte, mit einer solchen Beharrlichkeit, dass man glauben konnte, von dieser neuen Tätigkeit hinge ein ganzes Leben ab. Allein die Mutter, in ihren Lehnstuhl zurückgezogen, rührte sich nicht. Ihre ganze Haltung, der gesenkte Kopf, die aneinandergepressten dünnen Beine, die um den Körper geschlungenen Arme, schrie die Schande heraus, die sie erdrückte und aus der sie keinen Ausweg sah. Alle wussten jetzt, dass sie mit dem Grafen geschlafen hatte, dass sie den Vater betrogen hatte, und ganz Ordebec würde sich bis in alle Ewigkeit das Maul darüber zerreißen.
    Ohne einen von ihnen zu grüßen, denn er glaubte nicht, dass sie es hören würden, ging Adamsberg zunächst zur Mutter und legte ihr seinen Blumenstrauß auf die Knie. Was, so schien ihm, ihr Unbehagen noch vergrößerte. Sie war es nicht wert, dass man ihr Blumen schenkte. Adamsberg beharrte, nahm ihre Hände eine nach der anderen und legte sie auf die Blumenstängel. Dann wandte er sich zu Martin um.
    »Würdest du uns einen Kaffee machen?«
    Diese Bemerkung und der Übergang zum Du schienen die Aufmerksamkeit der Familie wieder auf einen Punkt zu konzentrieren. Martin stellte seinen Mörser hin und ging, sich den Kopf kratzend, zum Herd. Adamsberg nahm selbst die Kaffeeschalen aus dem Schrank und verteilte sie auf dem schmutzigen Tisch, nachdem er einen Teil des gebrauchten Geschirrs in einer Ecke zusammengeschoben hatte. Er bat jeden einzeln, sich zu setzen. Lina kam dem als Letzte nach, und kaum saß sie, machte sie sich mit ihrem Fingernagel an der abblätternden Farbe des Stuhlbeins zu schaffen. Adamsbergwusste, er hatte keinerlei psychologische Begabung, und einen Moment lang war er versucht, zu fliehen. Er nahm Martin die Kaffeekanne aus den Händen und füllte alle Schalen, trug eine davon der Mutter hin, die ablehnte, ihre Hände noch immer krampfhaft um den Strauß geschlossen. Adamsberg war, als hätte er noch nie im Leben so viel Kaffee getrunken wie hier. Auch Hippo schob seine Schale von sich und machte sich ein Bier auf.
    »Eure Mutter hat Angst um euch gehabt«, begann Adamsberg, »und sie hatte hundertmal recht.«
    Er sah, wie die Blicke sich senkten. Alle neigten den Kopf wie zu einer kirchlichen Andacht.
    »Wenn keiner von euch in der Lage ist, ihre Verteidigung zu ergreifen, wer soll es dann tun?«
    Martin streckte die Hand nach seinem Mörser aus, hielt sich aber zurück.
    »Der Graf hat sie davor bewahrt, wahnsinnig zu werden«, sagte Adamsberg aufs Geratewohl. »Keiner von euch kann ermessen, was für eine Hölle ihr Leben war. Valleray hat euch alle beschützt, das verdankt ihr ihm. Er hat verhindert, dass Hippo eine Kugel abgekriegt hat wie der Hund. Auch das verdankt ihr ihm. Mit seiner Hilfe hat sie euch alle in Sicherheit gebracht. Allein hätte sie das nicht vermocht. Sie hat getan, was sie als Mutter tun musste. Das ist alles.«
    Adamsberg war sich dessen, was er da sagte, durchaus nicht sicher, er wusste nicht, ob die Mutter wahnsinnig geworden wäre oder nicht, ob der Vater tatsächlich auf Hippolyte geschossen hätte, doch es war nicht der Augenblick, die Dinge feiner zu rastern.
    »Hat also der Graf den Vater getötet?«, fragte Hippo.
    Das Familienoberhaupt brach das Schweigen, ein gutes Zeichen. Adamsberg atmete auf, mit Bedauern, dass er keine Zigarette von Zerk oder Veyrenc bei der Hand hatte.
    »Nein. Wer euren Vater getötet hat, wird man nie erfahren. Herbier vielleicht.«
    »Ja«, warf Lina lebhaft ein, »das ist möglich. In der Woche davor hatte es eine heftige Szene zwischen beiden gegeben. Herbier verlangte Geld von meinem Vater. Da ging es laut her.«
    »Aber sicher«, meinte Antonin und machte seine Augen endlich weit auf. »Wahrscheinlich wusste Herbier das mit Hippo und Lina und wollte meinen Vater erpressen. Nie hätte der
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