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Die Mutter aller Stürme

Die Mutter aller Stürme

Titel: Die Mutter aller Stürme
Autoren: John Barnes
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Niveau gefährlichere Methoden autorisiert wurden. Nachdem
Abdulkashim ausgeschaltet worden war, befaßten seine Nachfolger
sich nicht mit den einzelnen Optionen dieser Skala – sie
begriffen sie nur als Instrumentarium extremer Maßnahmen. Und
wie es so typisch ist für Menschen, die mit einer Sache
überfordert sind, gingen sie jedesmal, wenn sie nicht weiter
wußten, zur nächsten Eskalationsstufe über. Was mich
aber am meisten wundert – es gelingt mir nicht, die Person zu
ermitteln, die den Befehl gegeben hat. Ich weiß nicht, welche
Motive diesen Morden zugrunde lagen. Diem wurde als erster
getötet, und die anderen Killerteams wurden angewiesen,
loszuschlagen, sobald ihre Datenspäher Diems Tod bestätigt
hatten. So sind Di und ich also umgekommen. Aber es gibt weder einen
Beweis dafür, daß die Diem observierenden Sibirer den
Befehl zu seiner Tötung erteilten, noch dafür, daß
sie den Kontakt zu ihrer Basis verloren. Der Auslöser dieser
Sache ist einfach… nicht zu ermitteln.«
    Jesse geht lange Zeit mit gesenktem Kopf und den Händen in
den Taschen neben ihr her. Es wird heller, und die Wolken ziehen nun
in größerer Höhe über sie hinweg; im klaren
weißen Licht wirkt er bleich, und sogar die hellroten und
tiefblauen Steine, die er dauernd aus dem Weg kickt, wirken
blaß und ausgewaschen.
    »Also ist irgend etwas geschehen, das den Stein ins Rollen
brachte; die Bürokratie brach einfach so zusammen, und die
sibirischen Agenten ermordeten meinen Bruder?«
    »Ganz genau. Aus demselben Grund, aus dem sie auch mich
töteten.« Carla bedient sich der Stimme von Mary Ann, um zu
seufzen; Mary Ann fühlt, daß dieser Seufzer nicht ganz
aufrichtig ist, worauf Carla ihr untersagt, Jesse diese Erkenntnis
mitzuteilen. »Jesse, es war eine schreckliche Sache, und wir
werden uns damit befassen. Das ganze sibirische Spionagesystem in den
Vereinigten Staaten und in Europa wird zerschlagen werden, und die
neue Revolutionsregierung wird jeden verhaften und hinrichten, der
auch nur im entferntesten damit zu tun hat. Das wird Di
natürlich nicht wieder lebendig machen und auch kein Trost
für Lori und deine Neffen sein. Übrigens, möchtest du
ihnen etwas ausrichten? Ich habe sie in einem Schutzraum in Grand
Island, Nebraska, ausfindig gemacht, auf einer Hochebene – sie
sind in Sicherheit und haben es bequem, und ich werde wohl bald eine
Telefonverbindung dorthin bekommen.«
    »Sag ihnen, daß ich sie liebe und so bald wie
möglich zu ihnen kommen werde«, sagt Jesse.
    »Ich war der Ansicht, du hättest ein Recht, es zu
erfahren. Ich werde Mary Ann jetzt noch für etwa eine halbe
Stunde abschalten, aber dann, sobald wir uns Monte Alban nähern,
werden wir uns wieder ins Netz einklinken müssen.«
    »Was ist dort im Gange?« fragt Jesse plötzlich.
»Und warum bist du so interessiert an uns? Ich meine, wir sind
nicht die einzigen Leute hier draußen, mit denen du reden
könntest, und außerdem könntest du einfach direkt mit
jedem reden. Was ist also los?«
    Carla lacht glucksend. »Louie und ich sind neu in diesem
Geschäft. Betrachte es als ›Werbeaktion‹.«
    Dann ist Mary Ann wieder allein in ihrem Körper. Sie ergreift
Jesses Hand und stolpert. Sie umfaßt seine Hüfte, und er
legt ihr den Arm um die Schulter, um sie zu stützen. Er schaut
ihr in die Augen und sieht, daß sie nur Mary Ann ist; niemand
sonst befindet sich in ihr, und er küßt ihre Stirn so
zärtlich, wie sie sich immer vorgestellt hat, daß er seine
Neffen küßt.
    Obwohl sie von einem warmen Wind umfächelt werden, nimmt sein
Geruchssinn die Veränderung wahr; sie hebt den Kopf, um ihn auf
den Mund zu küssen, und es wird ein langer Kuß. Als sie
sich aus der Umarmung lösen, öffnet sie die Augen und
sieht, daß der Himmel über den Bergen stellenweise
aufklart, begleitet von einem fließenden gelben Sonnenstrahl,
der sich in die im Tal liegenden weißen Häuser und
Plätze von Oaxaca bohrt.
    Sie bemerkt auch, daß der Führer der Gruppe jubelnd um
die Ecke biegt. Sie dreht sich um und winkt – hoffentlich nicht
wie eine Prominente, sondern als ob alle diese Menschen ihre Freunde
von der High-School wären – und als sie sich umdreht, um
Jesses Hand zu ergreifen, grinst sie breit, was überhaupt nicht
den Gepflogenheiten in Hollywood entspricht; sie spürt es zwar,
sieht es aber nicht vor ihrem geistigen Auge. Sie gehen nun etwas
schneller, nicht, um sich von der Menge zu distanzieren, sondern weil
sie nahe am Ziel sind, und was auch
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