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Die Mutter

Die Mutter

Titel: Die Mutter
Autoren: Petra Hammesfahr
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du dir unbedingt diesen Blödsinn anhören willst, bitte, das ist deine Sache. Aber dann sei so nett und warte, bis die Kolter wieder daheim ist. Du hast ja gehört, dass es nicht mehr lange dauern wird.»
    «Ich will nicht mit Regina Kolter reden, sondern mit Nita.»
    «Vera, sie hat Aids.»
    «Das wird ihr kaum die Stimme verschlagen haben. Mach dir bloß keine Sorgen. Ich habe nicht vor, mit ihr zu schlafen. Ich werde auch ihr Fixerbesteck nicht benutzen.»
    Vater sagte: «Ich glaube, darum sorgt Jürgen sich nicht, Vera. Er sorgt sich um dich und um seine Praxis. Wir leben nicht in einer Großstadt. Wenn sich herumspricht, woran dieses Mädchen stirbt, wenn bekannt wird, dass du bei ihr warst   …»
    Weiter kam er nicht. Mutter schlug unvermittelt mit der Faust auf den Tisch, sie sprach nicht, schrie nicht. Sie kreischte: «Ihr seid jetzt beide still. Was ist dabei, wenn Vera das Mädchen besucht? Lasst sie doch in Ruhe fahren, solange noch die Möglichkeit besteht, ein paar Antworten zu bekommen. Wenn dieses Mädchen auch unter der Erde ist, ist alles vorbei, begreift ihr das nicht? Man muss mit den Leuten reden, solange sie noch reden und zuhören können. Es kommt ein Tag, da können sie nicht mehr. Und da begreift man erst, wie viel man ihnen noch zu sagen hatte. Ich weiß, wie das ist. Fahr nach Köln, Kind. Kümmere dich nicht um das, was sie sagen und was andere denken könnten. Wenn du es nicht tust, wirst du es eines Tages bereuen.»
    Ich fuhr. Und es war nicht mehr Nita, die ich besuchte. Es war nur noch ein Häufchen Knochen, das von pergamentartiger Haut zusammengehalten wurde. So schlimm hatte ich es mir nicht vorgestellt. Es war ein scheußlicher Anblick, Geschwüre auf Stirn,Wangen, Kinn, Nase, das ganze Gesicht war wie eine eitrige Wunde.
    «Überraschung, Überraschung. Was für ein hoher Besuch», sagte Nita, als ich ihr Zimmer betrat. Es war nur ein Zischen und Röcheln, aber ich verstand sie.
    «Streng dich nicht an, Schatz», flüsterte Regina Kolter. Sie saß neben dem Bett, war halb über Nita gebeugt.
    Den Kopf bewegte Nita nicht, nur die Augen. «Geh Kaffee trinken, Regina. Hast dir ’ne Pause verdient. Ich kratz nicht ab in der Zeit, versprochen.»
    Regina Kolter erhob sich nur widerwillig. Nachdem sie das Zimmer verlassen hatte, deutete Nita auf den Stuhl. Als ich zögerte, fragte sie: «Angst, mir zu nahe zu kommen? Keine Sorge, jetzt beiß ich nicht mehr. Meine Zähne wackeln. Irgend so ’n Scheißpilz frisst mir da drin alles kaputt. Willst du mal reinschauen?»
    Sie öffnete den Mund, nicht sehr weit. Und bevor ich einen Blick hineinwerfen konnte, riss sie eine Hand vor die Lippen und begann zu husten. Es dauerte entsetzlich lange, ehe der Anfall vorüber war und sie sich so weit davon erholt hatte, dass sie wieder Luft fand.
    «Jetzt setz dich endlich, Mutti! Sonst schlaf ich ’ne Runde und du schaust in die Röhre. Könnte nämlich sein, dass ich nicht mehr aufwache.»
    Ich setzte mich auf den Stuhl. In ihre Augen trat ein Hauch von Zufriedenheit. Sie war nur schwer zu verstehen. Ich musste mich tief über sie beugen.
    «Du bist nicht der erste hohe Besuch», begann sie. «Aber dem Bullen hab ich was gehustet. Ich kann phantastisch husten. Willst du nochmal hören? Du hast doch nichts dagegen, wenn ich du zu dir sage, oder? Sag ich jetzt zu allen. Muss ich mich dran gewöhnen. Im Himmel sagen auch alle du zueinander. Oder meinst du, ich komme nicht in den Himmel?»
    «Ich weiß es nicht.»
    «Aber ich weiß es. Ich habe mich freigekauft. Mindestens fünfScheißer habe ich auf den Weg zur Hölle gebracht. Sind leider nicht so viele geworden, wie ich mir vorgestellt hatte. Ich bin zu spät abgehauen, weißt du. Und weißt du, wessen Schuld das ist? Deine!»
    Sie schloss die Augen, minutenlang war sie still. Ich dachte schon, sie sei eingeschlafen, da fragte sie: «Willst du auch einen Pakt mit dem Teufel schließen? Mach mal den Nachttisch auf, da liegt ein Zettel mit einer Telefonnummer.»
    Ich zog ein Schubfach auf und nahm den Zettel. Nita war nicht in der Lage, meiner Bewegung mit den Augen zu folgen. «Hast du ihn?»
    Ich zeigte ihr das Stück Papier. Sie schloss die Augen wieder. «Da rufst du an, heute Abend, aber erst nach acht. Egal, wer dran ist, du sagst nur, du willst Paul sprechen. Paul, merk dir das! Und dann sagst du zu Paul, er soll Regina hier rausholen. Er wird sich um sie kümmern. Vielleicht heiratet er sie sogar, wenn ich nicht mehr da bin.»
    Wieder lag
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