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Die Musik des Zufalls

Die Musik des Zufalls

Titel: Die Musik des Zufalls
Autoren: Paul Auster
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m Schlu ß warten , d a e r sic h ers t im allerletzten Augenblick davon trennen w ollte. Es war ein Baldwi n - Klavier, ein Geschenk seiner Mutter zu seinem dreizehnte n Geburtstag , fü r da s e r ih r imme r dankba r gewesen war , wußt e e r doch , unte r welche n Mühe n si e da s Gel d dafür zusammenbekommen hatte. Nashe gab sich über sein Spiel keine n I l lusione n hin , doc h gelan g e s ih m i m allgemeinen , jede Woch e ei n paa r Stunde n a n de m Instrumen t z u verbringe n und sic h durc h einig e de r alte n Stück e z u stümpern , di e e r al s Junge gelernt hatte. Das übte immer eine beruhigende Wirkung auf ihn aus , al s helf e di e Musi k ihm , di e Wel t deutliche r z u sehe n und seine n Plat z i n de r unsichtbare n Ordnun g de r Ding e zu erkennen . Al s nu n da s Hau s lee r wa r un d e r aufbreche n konnte, blieb er noch einen weiteren Tag, um den kahlen Wänden ein lange s Abschiedskonzer t z u geben . Eins nach dem anderen spielt e e r mehrer e Dutzen d seine r Lieblingsstücke , von Couperin s Die geheimnisvollen Barrikaden bi s hi n z u Fats Waller s Jitterbug Waltz. E r hämmert e s o lang e au f de n Tasten herum, bis seine Finger gefühllos wurden und er aufgeben mu ß te . Dan n lie ß e r seine n Klavierstimme r de r letzte n sechs Jahr e komme n (eine n Blinde n namen s Antonelli ) un d verkaufte ihm das Baldwin für vierhundertfünfzig Dollar. Als am nächsten Morge n di e Möbelpacke r kamen , hatt e Nash e da s Gel d bereits fü r Kassette n fü r den Recorder in seinem Wagen ausgegeben. Er hielt das für eine angemessene Geste – eine Form der Musik mit eine r andere n z u vertausche n –, un d di e Wirtschaftlichkeit diese s Tausch s erfreut e ihn . Danac h hiel t ih n nicht s mehr zurück . E r blie b noch , u m zuzu s ehen, wie Antonellis Leute das Klavie r au s de m Hau s wuchteten , un d dan n wa r er verschwunden , ohn e noc h vo n irgendwe m Abschie d z u nehmen. E r gin g einfac h au s de m Haus , stie g i n seine n Wage n un d war weg.
    Nash e hatt e keine n bestimmte n Plan . Allenfall s schwebt e ihm vor , sic h ein e Weil e treibe n z u lassen , vo n eine m Or t zum andere n z u fahre n un d abzuwarten , wa s sic h ergebe n würde . Er nahm an, nach ein paar Monaten würde er genug davon haben, un d dan n würd e e r sic h hinsetze n un d sic h Gedanke n machen, wa s e r al s n ä chste s tu n sollte . Abe r zwe i Monat e ginge n dahin, un d e r wa r noc h imme r nich t berei t aufzugeben . Mi t de r Zeit wa r ih m sei n neues , freie s un d unverantwortliche s Lebe n ans Her z gewachsen , un d vo n d a a n ga b e s keine n Grun d mehr aufzuhören.
    Geschwindigkeit war das Wesentliche; das Vergnügen, im Aut o z u sitze n un d imme r vorwärt s durc h de n Rau m z u jagen. Da s wurd e ih m wichtige r al s alle s andere , wurd e z u einem Hunger , de r u m jede n Prei s gestill t werde n mußte . Nicht s um ihn währte länger als einen Augenblick, und da ein Augenblick auf den anderen folgte, schien er selbst das einzige, was weiterexistierte . E r wa r ei n Fixpunk t i n eine m Wirbe l von Veränderungen, ein Körper, der vollkommen stillstand, während di e Wel t durc h ih n hindurchstürzt e un d verschwand . Da s Auto wurd e z u eine m Heiligtu m de r Unverletzlichkeit , z u einer Zuflucht, in der nichts mehr ihm etwas anhaben konnte. Solange er fuhr, war er unbelastet, wurde von keinem noch so kleinen Tei l seine s frühere n Leben s behindert . Wa s nich t heiße n soll, daß keine Er i nnerunge n i n ih m hochstiegen , nu r schiene n sie nicht s meh r vo n de n alte n Quale n mi t sic h z u bringen . Vielleicht hatte die Musik etwas damit zu tun, die endlosen Kassetten mit Bac h un d Mozar t un d Verdi , dene n e r hinter m Steue r lauschte, al s käme n di e Tön e i rgendwi e au s ih m selbs t heraus, überschwemmten die Landschaft und machten die sichtbare Welt zu einer Projektion seiner eigenen Gedanken. Nach drei ode r vie r Monate n braucht e e r nu r noc h i n de n Wage n zu steigen , un d gleic h hatt e e r da s Gefühl , sic h au s se i ne m Körper z u lösen , un d sobal d e r de n Fu ß auf s Gaspeda l drückt e und losfuhr , glaubt e e r sic h vo n de r Musi k i n ei n Reic h der Schwerelosigkei t getragen.
    Leer e Straße n ware n star k befahrene n stet s vorzuziehen . Auf ihne n mußt e ma n nich t s o of t bremse n un d bes chleunigen, und d a e r nich t au f ander e Auto s achtzugebe n brauchte , konnt e er siche r sein , nich t i n
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