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Die Mütze

Die Mütze

Titel: Die Mütze
Autoren: Wladimir Woinowitsch
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überhaupt nichts Besonderes wäre, und daß er, Rachlin, keineswegs schlechter, sondern möglicherweise sogar ein bißchen besser schreibe.
    Nervös lief Efim im Zimmer auf und ab. Im Zorn auf Baranow und auf sich selbst fuchtelte er mit den Armen, redete zusammenhanglos vor sich hin, schnitt Grimassen, nahm sogar ab und zu Haltung an, altmodisch, wie ein Offizier der Leibgarde (dieser, angesichts seiner Herkunft befremdliche, Atavismus war völlig unerklärlich), schlug die Fersen zusammen (nicht die Hacken, er trug weiche Pantoffeln), nickte herablassend, sprach durch die Zähne »Ich muß doch sehr bitten...« und spuckte sogar seinem imaginären Gegner einige Male ins Gesicht.
    Sein Verstand sagte Efim, daß die Freundschaft mit Baranow zu nichts führe. Darin war er einer Meinung mit Kukuscha, die nicht begreifen konnte, was ihn mit Baranow verband. »Er liebt mich eben«, pflegte Efim zu antworten, obwohl er selbst nicht davon überzeugt war. Aber ob er überzeugt war oder nicht - irgend etwas hielt ihn und Baranow zusammen, und wenn es nicht Liebe war, so war es Gewohnheit. Und diese Gewohnheit war so beschaffen, daß beide, trotz gegenseitiger Beleidigungen und Vorwürfe, vielleicht sogar eben deswegen, nicht einen einzigen Tag ohne einander auskommen konnten.
    Heute nun beschloß Efim, jede Beziehung zu Baranow abzubrechen. Sein Entschluß war absolut unerschütterlich (ebenso unerschütterlich wie tausendmal zuvor), und er fühlte sich (zum tausendundersten Mal) erleichtert und beruhigt. Er ist ja schließlich nicht allein auf der Welt, er nennt eine geliebte Frau sein eigen, einen geliebten Sohn und eine zwar verlorene, aber geliebte Tochter. Natürlich, sie ist ausgewandert, aber ihre Beziehungen haben darunter nicht gelitten. Sie schreibt, er schreibt, und sie sind sich immer noch sehr nahe. Und schließlich besitzt er einen unerschöpflichen Quell von Freude und Qual an seiner Arbeit. Gleich wird er sich wieder an seine Schreibmaschine setzen, er muß sich nur den ersten Satz gut überlegen, dann läuft alles wie von selbst. Sollen sie ruhig alle sagen, er sei kein besonders guter Schriftsteller. Wo sind eigentlich die Kriterien, nach denen der eine gut ist und der andere nicht? Solche Kriterien gibt es nicht. Efim selbst jedenfalls gefällt, was er schreibt, und er weiß genau, daß er, auch wenn man ihn nicht druckte und nicht bezahlte, für sich selbst schreiben würde. Aber er wird gedruckt, und zwar in ziemlich hohen Auflagen, und er wird so gut bezahlt wie noch nie. Früher, als bescheidenes Redaktionsmitglied der Zeitschrift Geologie und Mineralogie, mußte er für wesentlich weniger Geld täglich an seinem Arbeitsplatz erscheinen, sich den Verweis des Chefs für die leiseste Verspätung (allerdings sehr selten) gefallen lassen und fragen, wenn er in die Poliklinik oder zum Einkäufen gehen mußte.
    Gleich wird er den ersten Satz vor sich haben, und dann wird alles seinen Gang gehen. Dann tauchen Naturbeschreibungen und Menschen auf, Beziehungen knüpfen sich an, und jener geheime, unerklärliche und durchaus nicht immer lenkbare Prozeß, den man das »Schöpferische« nennt, wird begonnen haben.
    Efim gab sich einen Ruck, setzte sich an die Maschine, und es schrieb sich von selbst: Sturm. Kapitän Kolomijzew stand auf der Brücke und starrte bedrückt in den außer Rand und Band geratenen (ja, das ist es, dachte Efim) Raum. Riesige Wogen türmten sich übereinander und warfen sich mit der Selbstlosigkeit todesmutiger Kamikaze an die mächtige Brust des Schiffes...
    Ihm gefiel der Vergleich der Wellen mit den Kamikaze, aber er zweifelte plötzlich, ob er das Wort richtig geschrieben hätte - Kami-oder Komikaze? Er zog das Telefon heran und wählte automatisch Baranows Nummer, erinnerte sich aber noch rechtzeitig an seinen unerschütterlichen Entschluß.
    Kaum hatte er wieder aufgelegt, klingelte das Telefon. Efim behauptete, er könne am Klingeln erkennen, wer anriefe. Die Obrigkeit klingelte immer scharf und abgehackt, Bittsteller sanft und einschmeichelnd. Jetzt klingelte das Telefon unmanierlich und aufdringlich.
    »Was willst du eigentlich?« fragte Efim in den Hörer.
    »Paß auf!« Baranow stieß beim Sprechen mit der Zunge an. »Ich habe vergessen, dir zu sagen, daß es für Schriftsteller Mützen gibt.«
    »Alles klar!« sagte Efim und legte auf. Er warf den Hörer auf die Gabel, aber nicht, um Baranow die kalte Schulter zu zeigen, sondern aus einem ganz anderen Grund.
    Man muß wissen,
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