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Die Mütze

Die Mütze

Titel: Die Mütze
Autoren: Wladimir Woinowitsch
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daß Efim und Baranow ziemlich weit voneinander entfernt wohnten und die anfallenden Probleme meistens per Telefon lösten. Per Telefon wurden alle aufregenden Neuigkeiten und Ereignisse besprochen, die es immer in Hülle und Fülle gab. Gerüchte über diesen oder jenen Kollegen, die fällige Sitzung der Sektion Prosa, das aktuelle Wirtschaftsdelikt, die diversen Ehefrauen, die ihren Mann verlassen hatten und zu einem anderen gezogen waren, und viele politische Zwischenfälle. Sie kritisierten das Kolchossystem, die Zensur, das Buch des Ersten Sekretärs des Schriftstellerverbandes, sie besprachen sämtliche Konflikte im Nahen Osten, das Auftauchen einer neuen Dissidentengruppe, das Gerücht über den KGB-Mann, der sich in den Westen abgesetzt hatte, und tauschten Neuigkeiten aus, die sie im BBC gehört hatten. Für den Fall, daß sie abgehört würden, benutzten sie (zum Teil spontan) ein kompliziertes System von Umschreibungen und Andeutungen, eine Art besonderen Code, nach dem sämtliche Namen, Bezeichnungen und die Tendenz ihrer Mitteilungen bis zur Unkenntlichkeit entstellt wurden. Sie selbst verstanden einander schon nach einem halben Wort. Wenn zum Beispiel Efim Baranow wissen ließ, daß das Großmütterchen in London eine reiche Pilzernte ankündigte, so ersetzte Baranow »Pilz« durch »Champignon«, »Champignon« durch »Spion«, und da er wußte, daß »Großmütterchen« die BBC war, kam er zu dem Schluß, daß eine große Anzahl sowjetischer Spione aus London ausgewiesen werden sollte. Selbstverständlich jubelten beide darüber, wie sie auch sonst über jeden Mißerfolg und jedes Mißgeschick des Staates jubelten, desselben Staates, für den Efims Helden so begeistert jedes Risiko auf sich nahmen und dem sie einzelne Körperteile oder ihren ganzen Körper zum Opfer brachten. Und als Baranow eines Tages Efim anrief und ihn zu einem frischen Kalbsbraten einlud, stürzte dieser aus dem Haus, erwischte glücklicherweise ein Taxi und fuhr ans andere Ende der Welt nach Beljajewo-Bogorodskoje, keineswegs von der Aussicht auf ein Wiener Schnitzel oder ein Steak angelockt, sondern in der Hoffnung, sich für kurze Zeit Solschenizyns Die Eiche und das Kalb ausleihen zu können.
    Nun hatte Baranow also angerufen und gesagt, die Schriftsteller bekämen Mützen, Efim hatte geantwortet: »Alles klar!« und sofort aufgelegt, um nicht die Aufmerksamkeit der Lauscher zu wecken, und begann nun zu überlegen, was Baranow mit »Schriftsteller« und mit »Mützen« gemeint haben könnte.
    Natürlich dachte er zuerst an eine Gruppe Volkswirtschaftler, die vor kurzem einen offenen Brief über die notwendige Förderung der Privatinitiative veröffentlicht hatten. Dieser Brief war in den Westen gelangt und wurde von BBC, der Stimme Amerikas, der Deutschen Welle, von Liberty und dem Kanadischen Rundfunk ausgestrahlt. Offensichtlich sollten jetzt diese »Schriftsteller« eins auf den »Hut« kriegen. Efim dürstete es nach Details, und er sah nach der Uhr. Es war noch zu früh. Alle Sender, auf die es ankam, sendeten nur abends, und Liberty, der rund um die Uhr arbeitete, konnte man in seinem Viertel nicht empfangen.
    Bis zum Abend war es noch lange, und er rief Baranow an, ohne an seinen früheren Entschluß zu denken.
    »Mich interessieren diese Mützen«, sagte er aufgeregt, »werden sie schon ausgegeben, oder handelt es sich vorerst nur um einen Plan?«
    »Sie werden nicht ausgegeben, sondern genäht«, erklärte Baranow.
    »Was du nicht sagst!« rief Efim aus, weil er der Antwort entnahm, daß den Schriftstellern eine »Akte« genäht würde, d. h. daß sie verhaftet werden sollten.
    »Was findest du daran so erstaunlich?« Baranow schien nicht zu verstehen. »Hast du denn nicht gehört, wie Lukin bei der letzten Versammlung angekündigt hat, man würde künftig für die Schriftsteller noch besser sorgen als bisher? In Sotschi wird ein Haus der Kulturschaffendem gebaut, in der Poliklinik soll Heilgymnastik eingeführt werden, und im Literaturkombinat werden Bestellungen für Mützen angenommen. Ich bin übrigens gestern dort gewesen und habe mir eine Ohrenklappenmütze aus grauem Kanin bestellt.«
    »Du meinst also ganz gewöhnliche Wintermützen?« Efim wollte sich vorsichtig vergewissern.
    »Wenn du wünschst, kannst du dir eine Sommermütze nähen lassen.«
    Ohne jeden ersichtlichen Grund geriet Efim außer sich. »Wie kommst du dazu, mich anzurufen und mich am frühen Morgen zu stören!« schrie er mit sich
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