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Die Morgenlandfahrt

Die Morgenlandfahrt

Titel: Die Morgenlandfahrt
Autoren: Hermann Hesse
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Schnee,
    So Paul wie Klee.

    Es machte mir eine wehmütige Freude, auch über Klingsor, über Longus, über Max und Tilli nach-zulesen, auch widerstand ich dem Gelüste nicht, Näheres über Leo zu erfahren. Auf Leos Katalogzettel stand:

    Cave!
    Archiepisc. XIX. Diacon. D. VII.
    cornu Ammon. 6
    Cave!

    Die zweimalige Warnung »Cave« machte mir Ein-druck, ich brachte es nicht über mich, in dies Geheimnis zu dringen. Mit jedem neuen Versuche aber begann ich mehr und mehr einzusehen, welche unerhörte Fülle an Material, an Wissen, an magischen Formulierungen dieses Archiv enthalte. Es enthielt, so schien mir, schlechthin die ganze Welt.
    Nach beglückenden oder verwirrenden Ausflügen in viele Wissensgebiete kehrte ich mehrmals zu dem Katalogzettel »Leo« zurück, mit einer immer heftiger wachsenden Neugierde. Jedesmal schreckte das doppelte »Cave« mich zurück. Dafür fiel mir, beim Herumfingern in einem anderen Zettelkasten, das Wort »Fatme« in die Augen, mit dem Hinweis: princ. Orient.2
    noct. mill. 983
    hort, delic. 07

    Ich suchte und fand die Stelle im Archiv. Es lag dort ein winziges Medaillon, das sich öffnen ließ und ein Miniaturbildnis enthielt, ein entzückend schönes Prinzessinnenbildnis, das mich im Augenblick an alle tausendundeine Nächte, an alle Märchen meiner Jünglingszeit, an alle Träume und Wünsche jener großen Zeit erinnerte, als ich, um zu Fatme in den Orient zu fahren, mein Noviziat abgedient und mich zur Aufnahme in den Bund gemeldet hatte. Eingehüllt war das Medaillon in ein spinnwebfeines violettes Seidentüchlein, ich roch daran, es duftete unsäglich fern und zart traumhaft nach Prinzessin und Morgenland. Und indem ich diesen fernen dünnen Zauberduft einatmete, über-fiel mich plötzlich und übermächtig die Einsicht: in welchen holden Zauber gehüllt ich damals die Pilgerschaft nach dem Osten angetreten, wie die Pilgerschaft an heimtückischen und im Grunde un-bekannten Hindernissen gescheitert, wie der Zauber dann mehr und mehr verflogen und welche Öde, Nüchternheit und kahle Verzweiflung sei thermeine Atemluft, mein Brot, mein Trank gewesen war!
    Ich konnte weder Tuch noch Bild mehr sehen, so dicht war der Schleier der Tränen, die aus meinen Augen rannen. Ach, heute, das fühlte ich, würde das Bild der arabischen Prinzessin nicht mehr genügen, mich gegen Welt und Hölle zu feien und zum Ritter und Kreuzfahrer zu machen, es würde heute andrer, stärkerer Zauber bedürfen. Aber wie süß, wie unschuldig, wie heilig war jener Traum gewesen, dem meine Jugend nachgezogen war, der mich zum Märchenleser, zum Musikanten, zum
    Novizen gemacht und bis nach Morbio geführt hatte!
    Geräusch weckte mich aus der Versunkenheit, unheimlich blickte von allen Seiten die unendliche Raumtiefe des Archivs mich an. Ein neuer Gedanke, ein neuer Schmerz zuckte durch mich hin wie ein Blitzstrahl: Die Geschichte dieses Bundes hatte ich Einfältiger schreiben wollen, ich, der ich von diesen Millionen Schriften, Büchern, Bildern, Zeichen des Archivs kein Tausendstel zu entzif-fern oder gar zu begreifen vermochte! Vernichtet, namenlos töricht, namenlos lächerlich, mich selber nicht begreifend, zu einem Stäubchen eingedorrt, sah ich mich inmitten dieser Dinge stehen, mit welchen man mir ein wenig zu spielen erlaubt hatte, um mich fühlen zu lassen, was der Bund sei, und was ich selbst.
    Herein kamen durch die vielen Türen die Oberen in unendlicher Zahl; manche konnte ich, noch durch Tränen hindurch, erkennen. Ich erkannte Jup den Magier, erkannte den Archivar Lindhorst, den als Pablo verkleideten Mozart. In den vielen Sesselreihen baute sich die erlauchte Versammlung auf, in Sesselreihen, welche nach hinten anstiegen und immer schmäler wurden; über dem hohen
    Thron, der die Spitze bildete, sah ich einen goldenen Baldachin funkeln.
    Der Sprecher trat vor und verkündete: »DerBund ist bereit, durch seine Oberen Recht zu sprechen über den Selbstankläger H., der sich berufen fühlte, Bundesgeheimnisse zu verschweigen, und der nun eingesehen hat, wie wunderlich und blasphemisch seine Absicht war, die Geschichte einer Fahrt zu schreiben, der er nicht gewachsen war, und die Geschichte eines Bundes, an dessen Dasein er nicht mehr glaubte, und dem er untreu geworden war.«

    Er wandte sich an mich und rief mit seiner klaren Heroldstimme: »Bist du, Selbstankläger H., damit einverstanden, den Gerichtshof anzuerkennen und dich seinem Urteil zu unterwerfen?«
    »Ja«, gab ich zur
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