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Die Morgenlandfahrt

Die Morgenlandfahrt

Titel: Die Morgenlandfahrt
Autoren: Hermann Hesse
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leicht zugänglich zu machen, wenn es erlaubt wäre, ihn ins Innere des Bundesgeheimnisses zu führen. So aber wird vieles, wird vielleicht alles ihm unglaublich scheinen und unfaßbar bleiben. Allein das Paradoxe muß immer wieder gewagt, das an sich Unmögliche muß immer neu unternommen werden. Ich halte es mit Siddhartha, unsrem weisen Freund aus dem Osten, der einmal gesagt hat: »Die Worte tun dem geheimen Sinn nicht gut, es wird immer alles gleich ein wenig anders, ein wenig verfälscht, ein wenig närrisch - ja, und auch das ist gut, auch damit bin ich einverstanden, daß das, was eines Menschen Schatz und Weisheit ist, dem ändern immer wie Narrheit klingt.« Auch haben schon vor Jahrhun-derten die Mitglieder und die Geschichtsschreiber unsres Bundes diese Schwierigkeit gekannt und ihr tapfer die Stirn geboten, und einer von ihnen, einer der Größten, hat sich in einem unsterblichen Verse so darüber geäußert:

    Wer weit gereist, wird oftmals Dinge schauen, Sehr fern von dem, was er für Wahrheit hielt.
    Erzählt er's dann in seiner Heimat Auen,
    So wird ihm oft als Lügner mitgespielt.
    Denn das verstockte Volk will ihm nicht trauen, Wenn es nicht sieht und klar und deutlich fühlt.
    Die Unerfahrenheit, ich kann mir's denken,
    Wird meinem Sänge wenig Glauben schenken.
    Diese »Unerfahrenheit« hat es denn auch zustande gebracht, daß heute in der Öffentlichkeit unsre Reise, welche einst Tausende bis zur Ekstase erregt hat, nicht nur vergessen, sondern daß ihr Gedächtnis mit einem richtigen Tabu belegt ist. Nun, die Geschichte ist ja reich an Beispielen ähnlicher Art.
    Die ganze Weltgeschichte scheint mir oft nichts andres zu sein als ein Bilderbuch, das die heftigste und blindeste Sehnsucht der Menschen spiegelt: die Sehnsucht nach Vergessen. Tilgt da nicht jede Generation mit den Mitteln des Verbotes, des Tot-schweigens, des Spottes immer gerade das aus, was der vorigen Generation das Wichtigste schien?
    Haben wir es nicht eben erst erlebt, daß ein ungeheurer, jahrelanger, grauenhafter Krieg von ganzen Völkern jahrelang vergessen, geleugnet, ver-drängt und weggezaubert worden ist und daß diese Völker jetzt, wo sie sich ein klein wenig ausgeruht haben, mit Hilfe spannender Kriegs-romane sich dessen wieder zu erinnern suchen, was sie vor einigen Jahren selber angerichtet und erlitten haben? So wird auch für die Taten und Leiden unsres Bundes, welche heut vergessen oder der Welt ein Gelächter sind, der Tag der Wieder-entdeckung kommen, und meine Aufzeichnungen sollen dazu ein weniges beitragen.

    Zu den Besonderheiten der Morgenlandfahrt ge-hörte unter ändern auch diese, daß zwar der Bund mit dieser Reise ganz bestimmte, sehr hohe Ziele anstrebte (sie gehören der Zone des Geheimnisses an, sind also nicht mitteilbar), daß aber jeder einzelne Teilnehmer auch seine privaten Reiseziele haben konnte, ja haben mußte, denn es wurde keiner mitgenommen, den nicht solche privaten Ziele antrieben, und jeder einzelne von uns, während er gemeinsamen Idealen und Zielen zu folgen und unter einer gemeinsamen Fahne zu kämp-fen schien, trug als innerste Kraft und letzten Trost seinen eigenen, törichten Kindertraum im Herzen mit sich. Was nun mein eigenes Reiseziel betrifft, um das ich vor meiner Aufnahme in den Bund vom Hohen Stuhl befragt wurde, so war
    es ein einfaches, während manche andre Bundesbrüder sich Ziele gesetzt hatten, welche ich zwar wohl zu achten, nicht aber ganz zu begreifen vermochte. Einer zum Beispiel war Schatzsucher und hatte nichts andres im Sinn als die Gewinnung eines hohen Schatzes, den er »Tao« nannte, ein andrer aber hatte sich gar in den Kopf gesetzt, eine gewisse Schlange fangen zu wollen, welcher er Zauberkräfte zuschrieb und die er Kundalini nannte. Mein eigenes Reise- und Lebensziel hingegen, das mir schon seit den späteren Knabenjah-ren in Träumen vorgeschwebt hatte, war dieses: die schöne Prinzessin Fatme zu sehen und womöglich ihre Liebe zu gewinnen.
    Zu jener Zeit, da ich dem Bunde beitreten zu dürfen das Glück hatte, nämlich unmittelbar nach dem Ende des großen Krieges, war unser Land voll von Heilanden, Propheten und Jüngerschaf-ten, von Ahnungen des Weltendes oder Hoffnungen auf den Anbruch eines Dritten Reiches. Erschüttert vom Kriege, verzweifelt durch Not und Hunger, tief enttäuscht durch die anscheinende Nutzlosigkeit all der geleisteten Opfer an Blut und Gut, war unser Volk damals manchen Hirn-gespinsten, aber auch manchen echten Erhebungen
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