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Die Morgenlandfahrt

Die Morgenlandfahrt

Titel: Die Morgenlandfahrt
Autoren: Hermann Hesse
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luden, daß Kinder sich uns begeistert anschlössen, unsre Lieder lern-ten, uns nur mit Tränen weiterziehen sahen, daß ein alter Mann uns vergessene Denkmale der Vergangenheit zeigte oder eine Sage seiner Gegend berichtete, daß Jünglinge eine Strecke Weges mit uns gingen und in den Bund aufgenommen zu
    werden begehrten. Diesen wurde Rat erteilt und die ersten Gebräuche und Übungen des Noviziates mitgeteilt. Es geschahen die ersten Wunder, teils vor unsern sehenden Augen, teils waren Berichte und Legenden von ihnen plötzlich da. Eines Tages, ich war noch ganz Neuling, sprach urplötzlich jedermann davon, daß im Zelt unsrer Führer der Riese Agramant zu Gaste sei und die Führer zu überreden suche, den Weg über Afrika zu nehmen, um dort einige Bundesbrüder aus maurischer Ge-fangenschaft zu befreien. Ein andres Mal wurde das Hutzelmännlein gesehen, der Pechschwitzer, der Tröster, und man vermutete, unsre Wanderung werde sich gegen den Blautopf richten. Die erste wunderhafte Erscheinung aber, die ich mit eigenen Augen sah, war diese: Wir hatten bei einer halbverfallenen Kapelle im Oberamt Spai-chendorf Andacht und Rast gehalten, an die
    einzige unbeschädigte Mauer der Kapelle war ein riesengroßer heiliger Christoffer gemalt, auf seiner Schulter saß klein und vor Alter halbvergangen das Erlöserkind. Die Führer, wie sie es zuweilen taten, schlugen nicht einfach den Weg ein, der uns weiterführen sollte, sondern forderten uns alle auf, unsre Meinung darüber zu sagen, denn die Kapelle lag an einem dreifachen Kreuzweg, und wir hatten die Wahl. Nur wenige von uns äußerten einen Wunsch oder Rat, einer aber deutete nach links hinüber und forderte uns eindringlich auf, diesen Weg zu wählen. Wir schwiegen nun und warteten auf den Entscheid der Führer, da hob der heilige Christoffer an der Wand seinen Arm mit dem langen groben Stabe und deutete dorthin, nach links, wohin unser Bruder strebte.
    Wir sahen es alle, schweigend, und schweigend wen-deten die Führer sich nach links und gingen diesen Weg, und wir folgten mit der innigsten Freude.
    Wir waren noch nicht lange in Schwaben unterwegs, da machte sich eine Macht bemerkbar, an welche wir nicht gedacht hatten und deren Ein-fluß wir längere Zeit stark zu spüren bekamen, ohne doch zu wissen, ob diese Macht eine freundliche oder feindliche bedeute. Es war die Macht der Kronenwächter, welche in jenem Lande seit alters das Andenken und Erbe der Hohenstaufer bewahren. Ich weiß nicht, ob unsre Führer mehr darüber wußten und Weisungen hatten. Ich weiß nur, daß uns von jener Seite mehrmals Ermunte-rungen oder Warnungen zugekommen sind, so
    auf jenem Hügel am Wege nach Bopfingen, wo
    ein eisgrauer Geharnischter uns entgegentrat, bei geschlossenen Augen den greisen Kopf schüttelte und alsbald ohne Spur wieder verschwunden war.
    Unsre Führer nahmen die Warnung an, wir kehrten auf der Stelle um und haben Bopfingen nicht zu sehen bekommen. Dagegen geschah es in der Nähe von Urach, daß ein Abgesandter der Kronenwächter, wie aus dem Boden gewachsen, mitten im Führerzelt erschien und die Führer mit Ver-sprechungen und Drohungen bestimmen wollte, unsern Zug in den Dienst der Staufer zu stellen und namentlich die Eroberung Siziliens vorzu-bereiten. Er soll, als die Führer sich dieser Ge-folgschaft entschieden weigerten, über den Bund und über unsre Heerfahrt einen furchtbaren Fluch gesprochen haben. Doch berichte ich da nur, was eben unter uns darüber geflüstert worden ist; die Führer selbst haben kein Wort darüber geäußert.
    Immerhin scheint es möglich, daß unsre schwan-kenden Beziehungen zu den Kronenwächtern es waren, welche damals unsren Bund eine Zeitlang in den unverdienten Ruf brachten, ein Geheimbund zur Wiederaufrichtung der Monarchie zu sein.
    Einmal habe ich es auch miterleben müssen, daß einer meiner Kameraden reuig wurde, sein Ge-lübde mit Füßen trat und in den Unglauben zu-rückfiel. Es war ein junger Mensch, den ich recht gern gemocht hatte. Der persönliche Grund, warum er mit nach dem Morgenlande zog, war sein Wunsch, den Sarg des Propheten Mohammed zu
    sehen, von welchem er hatte sagen hören, daß er durch Zauber frei in der Luft schwebe. In einem jener schwäbischen oder alemannischen Städtchen, wo wir uns einige Tage aufhielten, weil eine Op-position von Saturn und Mond unsern Weiter-
    marsch hemmte, traf dieser Unglückliche, der schon seit einer Weile traurig und unfrei aussah, einen seiner ehemaligen Lehrer an, dem
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