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Die Morgenlandfahrt

Die Morgenlandfahrt

Titel: Die Morgenlandfahrt
Autoren: Hermann Hesse
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der Seele zugänglich, es gab bacchantische Tanz-gemeinden und wiedertäuferische Kampfgruppen, es gab dies und jenes, was nach dem Jenseits und nach dem Wunder hinzuweisen schien; auch eine Hinneigung zu indischen, altpersischen und anderen östlichen Geheimnissen und Kulten war damals weitverbreitet, und all dies hat dazu geführt, daß auch unser Bund, der uralte, den meisten als eines der vielen hastig aufgeblühten Modege-wächse erschien und daß er nach einigen Jahren mit ihnen teils in Vergessenheit, teils in Verach-tung und Verruf geraten ist. Die Treugebliebenen unter seinen Jüngern kann dies nicht anfechten.
    Wie wohl erinnere ich mich der Stunde, da ich nach Ablauf meines Probejahres mich dem Hohen Stuhl vorstellte, vom Sprecher in den Plan der Morgenlandfahrt eingeweiht und, als ich mich diesem Plane mit Leib und Leben zur Verfügung stellte, freundlich danach befragt wurde, was es denn sei, das ich mir von dieser Fahrt ins Mär-chenreich verspreche! Errötend zwar, aber frei-mütig und ohne Zögern bekannte ich mich vor den versammelten Oberen zu meinem Herzens-wunsche, die Prinzessin Fatme mit meinen Augen sehen zu dürfen. Und der Sprecher, die Gebärde der Verhüllten dolmetschend, legte mir gütig die Hand auf den Scheitel, segnete mich und sprach die Formel, welche meine Aufnahme als Bruder des Bundes bekräftigte. »Anima pia«, redete er mich an und ermahnte mich zur Treue im Glauben, zum Heldenmut in Gefahr, zur brüderlichen Liebe. Während des Probejahres wohlvorbereitet, leistete ich den Eid, schwor der Welt und ihrem Irrglauben ab und bekam den Bundesring an den Finger gesteckt, mit jenen Ringworten aus einem der schönsten Kapitel unsrer Bundesgeschichte: In Erd’ und Luft, in Wasser und in Feuer
    Sind ihm die Geister Untertan;
    Sein Anblick schreckt und zähmt die wildsten Ungeheuer,

    Und selbst der Antichrist muß zitternd sich ihm nah'n...
    und so weiter.

    Es wurde mir auch zu meiner Freude gleich bei der Aufnahme eine der Erleuchtungen zuteil, wie sie uns Novizen in Aussicht gestellt waren. Kaum nämlich hatte ich, den Weisungen der Oberen folgend, mich einer der Zehnergruppen angeschlossen, welche überall im Lande unterwegs waren, um zum Bundeszuge zu stoßen, so wurde eins der Geheimnisse unsres Zuges mir alsbald durchdringend klar. Ich erkannte: wohl hatte ich mich einer Pilgerfahrt nach dem Morgenlande angeschlossen, einer bestimmten und einmaligen Pilgerfahrt dem Anscheine nach - aber in Wirklichkeit, im höheren und eigentlichen Sinne, war dieser Zug zum Morgenlande nicht bloß der meine und nicht bloß dieser gegenwärtige, sondern es strömte dieser Zug der Gläubigen und sich Hingebenden nach dem Osten, nach der Heimat des Lichts, unaufhörlich und ewig, er war immerdar durch alle Jahrhunderte unterwegs, dem Licht und dem
    Wunder entgegen, und jeder von uns Brüdern, jede unsrer Gruppen, ja unser ganzes Heer und seine große Heerfahrt war nur eine Welle im ewigen Strom der Seelen, im ewigen Heimwärts-streben der Geister nach Morgen, nach der Heimat. Die Erkenntnis durchzuckte mich wie ein Strahl, und zugleich erwachte in meinem Herzen ein Wort, das ich während meines Novizenjahres gelernt und das mir immer wunderbar Wohlge-fallen hatte, ohne daß ich es doch eigentlich verstanden hätte, das Wort des Dichters Novalis: »Wo gehen wir denn hin? Immer nach Hause.«
    Inzwischen hatte unsre Gruppe die Wanderung angetreten, bald trafen wir mit anderen Gruppen zusammen, und es erfüllte und beglückte uns mehr und mehr das Gefühl der Einigkeit und des gemeinsamen Zieles. Den Vorschriften getreu, lebten wir als Pilger und machten von keiner jener Einrichtungen Gebrauch, welche einer von Geld, Zahl und Zeit betörten Welt entstammen und das Leben seines Inhaltes entle eren; vor allem gehörten dazu Maschinen, wie Eisenbahnen, Uhren und dergleichen. Ein andrer unsrer einmütig einge-haltenen Grundsätze gebot uns, alle Stätten und Erinnerungen aufzusuchen und zu verehren, welche mit der uralten Geschichte unsres Bundes und seines Glaubens zusammenhingen. Alle frommen Orte und Denkmäler, Kirchen, ehrwürdige Grab-stätten, welche irgend am Wege lagen, wurden besucht und gefeiert, die Kapellen und Altäre mit Blumen geschmückt, die Ruinen mit Liedern oder stiller Betrachtung geehrt, der Toten mit Musik und Gebeten gedacht. Nicht selten wurden wir dabei von den Ungläubigen verspottet und ge-stört, aber es geschah auch häufig genug, daß Prie -
    ster uns segneten und zu Gaste
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