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Die Morgengabe

Die Morgengabe

Titel: Die Morgengabe
Autoren: Eva Ibbotson
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Zimmer,
das er bestellt hatte. Man empfing ihn freundlich; im Foyer hing das vertraute
Porträt des Kaisers, noch nicht verdrängt vom banalen Konterfei des Führers.
Doch in der Bar unterhielten sich drei deutsche Offiziere in lautem
Berlinerisch mit ihren wasserstoffblonden Freundinnen. Selbst wenn er Zeit für
einen Drink gehabt hätte, würde sich Quin nicht zu ihnen gesellt haben.
Tatsächlich jedoch blieb ihm überhaupt keine Zeit, denn der legendäre
Orient-Expreß war wegen eines Maschinenschadens mit großer Verspätung
angekommen. Nachdem er sich in aller Eile umgezogen hatte, fuhr er direkt zur
Universität. Bergers Sekretärin hatte ihm vor seiner Abreise aus England
geschrieben, daß man einen Talar für ihn mieten würde, und der Ablauf war bei
solchen Verleihungszeremonien immer so ziemlich der gleiche. Man brauchte nur
nach Art eines Pinguins seinem Vorgänger hinterherzutippeln.
    Dennoch – es war später, als er
gedacht hatte. Männer in Scharlachrot und Gold, in Schwarz und Purpurrot, in
hermelinbesetzten Umhängen und mit Quasten geschmückten Kopfbedekkungen
standen in Gruppen auf der Treppe; Heerscharen stolzer Verwandter im
Sonntagsstaat schoben sich durch das gewaltige Portal.
    «Ah, Professor Somerville, wir
hatten schon auf Sie gewartet. Es ist alles vorbereitet.» Die
Dekanatssekretärin begrüßte ihn mit Erleichterung. «Ich zeige Ihnen gleich den
Umkleideraum. Der Dekan hatte eigentlich gehofft, Sie vor der Feier zu
begrüßen, aber er ist bereits im Saal. Er erwartet Sie dann beim Empfang.»
    «Ich freue mich darauf, ihn zu
sehen.»
    Quins Talar aus scharlachroter Seide
lag auf einem Tisch neben einer Karte mit seinem Namen bereit. Das Samtbarett
war zu groß, er schob es einfach etwas nach hinten und trat dann hinaus zu den
übrigen Kandidaten, die im Vorzimmer auf den Beginn der Feier warteten.
    Der Organist stimmte eine
Passacaglia von Bach an, und zwischen einer dicken Professorin aus Argentinien
und dem, wie ihm schien, ältesten Entomologen der Welt marschierte Quin feierlichen
Schritts durch den Gang der großen Aula zum Podium.
    Ganz wie erwartet, verlief die Feier
in dieser Stadt, in der man selbst die Fiakerpferde herausputzte, mit höchstem
Pomp. Männer standen von ihren Plätzen auf, verneigten sich voreinander und
setzten sich wieder. Die Orgel brauste. Von den Wänden blickten längst
verstorbene Geistesgrößen aus goldenen Rahmen herab.
    Quin, der rechts vom Podium saß,
versuchte in der gegenüberliegenden Reihe der Professoren Kurt Berger zu
finden, doch der Hut der Professorin aus Argentinien versperrte ihm die Sicht.
    Einer nach dem anderen wurden die
Ehrenkandidaten aufgerufen. Auf Lateinisch verlas man die Liste ihrer
Verdienste um die Wissenschaft, dann erhielten sie mit einer silbernen Wurst,
die die Gründungsurkunde der Universität enthielt, einen Schlag auf die Schulter,
und schließlich wurde ihnen eine Pergamentrolle überreicht. Als Quin dem
Entomologen von seinem Stuhl aufhalf, fragte er sich, ob der alte Herr den
Ritterschlag mit der silbernen Wurst überhaupt überleben würde. Aber er
überlebte ihn. Dann wurde die dicke Wissenschaftlerin aus Argentinien
aufgerufen, und nun hatte Quin freie Sicht. Er suchte unter den prunkvoll
gekleideten Professoren nach Kurt Berger, konnte ihn jedoch nicht entdekken.
Acht Jahre waren vergangen, seit sie einander das letztemal gesehen hatten,
aber er würde das kluge, dunkle Gesicht doch gewiß auf Anhieb erkennen?!
    Jetzt war er an der Reihe.
    «Hiermit wird Quinton Alexander St.
John Somerville die Ehrendoktorwürde dieser Universität verliehen. Der
Sprecher wird Ihnen jetzt Professor Somerville vorstellen.»
    Quin stand auf und richtete den
Blick auf den Rektor, dessen eines wäßrig blaues Auge teilweise von der
goldenen Troddel verdeckt war, die von seinem Barett herabhing. Während die
vollmundigen Platitüden über seine Verdienste durch den Saal dröhnten, wurde
Quin immer unbehaglicher zumute – das, was ihm als archaisches, aber nicht
würdeloses Bemühen erschienen war, die Traditionen der Vergangenheit
hochzuhalten, wurde plötzlich zur Travestie, zu einer absurden, von Marionetten
vorgeführten Charade.
    Die Lobrede auf den «jüngsten
Professor der Universität Thameside, Preisträger der Geographischen
Gesellschaft und Sherlock Holmes der Urgeschichte», dessen inspirierte
Forschungsarbeit dazu beigetragen habe, die Rätsel der Vergangenheit zu
entschlüsseln, kam zu ihrem Ende. Stirnrunzelnd stieg
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