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Die Moralisten

Titel: Die Moralisten
Autoren: Unbekannter Autor
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mich mehr quälen. Jetzt blieb mir keine Zeit mehr dafür. Ich hatte eine schwere Aufgabe vor mir.
    Einige Augenblicke später erhob ich mich auf ein Kopfnicken des Richters hin. Langsam durchquerte ich den Gerichtssaal und ging zur Bank der Geschworenen. Sie blickte nicht auf, als ich am Tisch der Angeklagten vorbeiging, aber dennoch wußte ich, daß sie jede meiner Bewegungen aus den Augenwinkeln heraus verfolgte. Ich blieb vor den Geschworenen stehen und gab ihnen Gelegenheit, mich genau zu mustern.
    Nach einigen Sekunden begann ich zu sprechen. Ich ging sehr bedächtig vor. »Meine Damen und Herren Geschworenen, ich komme mir fast wie ein Reservespieler beim Baseball vor, den man an Di Maggios Stelle aufs Spielfeld schickt. Denn wer .« Ich hielt einen Augenblick inne, bis das leichte Anschwellen vergnügten Gelächters im Gerichtssaal wieder abebbte. »Denn wer könnte es mit Di Maggio aufnehmen?« fuhr ich fort und beantwortete meine eigene
    Frage: »Niemand.«
    Ich verbannte das leichte freundliche Lächeln aus meinem Gesicht. »Aber das Volk des Staates New York hat Anspruch darauf, durch seine von ihm gewählten Beamten vertreten und beschützt zu werden. Das Volk des Staates New York hat es durch sein Großes Geschworenengericht für richtig erachtet, Anklage gegen eine bestimmte Person wegen Verletzung seiner Gesetze und Sitten zu erheben. So erbitte ich ergebenst Ihre Nachsicht, während ich, so gut ich es vermag, hier die Sache des Staates New York gegen Maryann Flood vertrete.«
    Vito erhob Einspruch. Wie ich es erwartet hatte, gab das Gericht diesem Einspruch statt. Aber ich hatte gesagt, was ich hatte sagen wollen. So wandte ich mich erneut an die Geschworenen. »Ich möchte Ihnen einen Teil der Anklageschrift vorlesen, die diesem Gericht vorliegt. In dieser Anklageschrift wird die Angeklagte, Maryann Flood, beschuldigt, folgende Handlungen begangen zu haben, die wir über jeden begründeten Zweifel hinaus beweisen werden.
    Maryann Flood hat, getarnt durch eine angesehene Modellagentur, die Park Avenue Models Inc., junge Mädchen und Frauen um des persönlichen Gewinns willen zu rechtswidrigen und unmoralischen Zwecken vermittelt und sie dazu verleitet, ein Leben als Prostituierte zu führen.
    Maryann Flood hat in mehreren Fällen Beamte durch Bezahlung gewonnen oder bestochen, um ihrer gesetzwidrigen Tätigkeit nachgehen zu können.
    Maryann Flood ist es aufgrund ihrer Beziehungen in diesem schändlichen Gewerbe gelungen, von einigen ihrer Kunden verschieden hohe Beträge zu erpressen, indem sie ihnen mit Bloßstellung drohte.«
    Ich ließ die Anklageschrift sinken und sah die Geschworenen an. Ich spürte ihr Interesse.
    »Vermittlung zum Zweck der Prostitution. Bestechung von Beamten. Erpressung. - Kein sehr schönes Bild, das sich den Menschen des Staates New York hier bietet. Jedes Jahr kommen Tausende von jungen Mädchen nach New York, die von Glanz und Erfolg träumen
    - Broadway, Fernsehen, ein Leben als Fotomodell.
    Diesen armen, unschuldigen Geschöpfen aber lauern Menschen wie Maryann Flood auf. Sie sind sicher, daß Bestechung und Erpressung sie vor nachteiligen Folgen und vor Belästigung durch solche prosaischen und irdischen Dinge wie die Gesetze des Staates New York schützen.«
    Zum erstenmal wandte ich mich der Angeklagten zu. Sie blickte auf den Tisch und umklammerte mit den Fingern einen Bleistift. Um Vitos Lippen spielte ein schwaches Lächeln.
    »Maryann Flood!« rief ich.
    Sie hob den Kopf, und ihre Augen begegneten fest den meinen. Es lag ein Ausdruck des Schmerzes in ihnen, wie ich ihn nie zuvor bei ihr gesehen hatte. Mein Blick wurde wieder hart und abweisend, als ich mich erneut der Geschworenenbank zuwandte. »Maryann Flood«, wiederholte ich, »ist hier vor Gericht und vor den Geschworenen erschienen, die aus den Kreisen ihrer Mitbürger stammen; sie steht unter der Anklage, sich gegen die Gesetze der Gesellschaft vergangen zu haben.
    Und wir, das Volk des Staates New York, das Volk, dem gegenüber sie eine solche Mißachtung an den Tag gelegt hat, werden die gegen sie erhobenen Beschuldigungen beweisen, so daß bei niemandem auch nur eine Spur des Zweifels an ihrer Schuld zurückbleiben wird. Wir werden Schritt um Schritt jede Handlung in ihrer gesetzwidrigen Laufbahn verfolgen. Wir werden jede dieser Handlungen in allen Einzelheiten darlegen. Und dann werden Sie, die Geschworenen, aufgefordert werden, ein Urteil zu sprechen, das auf jede andere Person, die das Recht zu
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