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Die Moralisten

Titel: Die Moralisten
Autoren: Unbekannter Autor
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Straße hinaus. Durch die Glastür sah ich sie auf der Straße stehen. Der Schnee fiel in großen Flocken auf sie herab. Eine lange schwarze Limousine hielt vor ihr, und ein Mann stieg aus. Er nahm seinen dunklen Hut ab, während er die Tür aufhielt. Ich erkannte sein weißes Haar. Es war Joker Martin. Er stieg hinter ihr in den Wagen, der langsam davonfuhr.
    Ich stürzte den Rest meines Gins hinunter, warf ein paar Scheine auf den Tisch und ging zur Tür.
    Ich betrat zu meiner letzten Amtshandlung den Gerichtssaal. Ich wollte noch das Urteil gegen Marja hören.
    Ich sah ihr Gesicht, als sie sich dem Richtertisch zuwandte. Sie war blaß, aber ihre Augen waren ruhig und ohne Furcht, als die Stimme des Richters erklang.
    »Zu Punkt 1: Vermittlung zum Zweck der Prostitution. Sie werden hiermit zu einer Gefängnisstrafe von drei bis fünf Jahren und zur Zahlung von fünftausend Dollar verurteilt.
    Zu Punkt 2: Bestechung von Beamten. Sie werden hiermit zu einer Gefängnisstrafe von einem Jahr und zur Zahlung von fünftausend Dollar verurteilt.
    Zu Punkt 3: Erpressung durch mündliche Drohungen. Sie werden hiermit zu einer Gefängnisstrafe von einem Jahr und zur Zahlung von fünfhundert Dollar verurteilt.«
    Hinter uns ging ein Raunen durch den Saal, nachdem der Richter das Urteil verlesen hatte. Er klopfte mit dem Hammer auf den Tisch, um die Ruhe wiederherzustellen. Im Gerichtssaal wurde es ganz still. Seine Stimme war sehr leise, drang aber bis zu den hintersten Reihen. »Die Staatsanwaltschaft hat dieses Gericht darauf hingewiesen, daß die Angeklagte durch ihr Verhalten ihre Absicht kundgetan hat, sich in den Augen der Gesellschaft zu rehabilitieren. Das Gericht entscheidet daher, daß die Angeklagte ihre verschiedenen Haftstrafen zusammenhängend abbüßen darf.«
    Das Raunen im Gerichtssaal wurde diesmal noch lauter. Das war eine große Vergünstigung. Das bedeutete, daß sie bei guter Führung nicht mehr als zwei Jahre abzubüßen brauchte. Ich wandte mich Alec zu. »Haben Sie gewußt, daß der Alte das vorhatte?« fragte ich.
    Er schüttelte den Kopf. Ich sah Joel an. Auch sein Gesicht verriet nichts. Ich blickte zu Marja hinüber. Sie beobachtete mich; ihre Augen waren ruhig, und es lag Dankbarkeit in ihnen. Ich hätte ihr gern gesagt, daß der Oberstaatsanwalt dies erreicht hatte und nicht ich. Aber ich hatte keine Möglichkeit, mit ihr zu sprechen.
    Als ich den Gerichtssaal verließ, schloß sich mir Joel an. »Der Alte wird allmählich sentimental«, meinte er. »Wollen wir etwas trinken gehen?«
    Ich schüttelte den Kopf, und wir trennten uns am Fahrstuhl. Als ich zur Tür meines Büros gelangte, öffnete sie sich plötzlich, und der Alte stand da. Er hielt einen Umschlag in der Hand, mit dem er erregt herumfuchtelte. »Sie glauben doch wohl nicht, daß ich es entgegennehme!« brüllte er.
    Es war mein Entlassungsgesuch. »Doch, Sir«, entgegnete ich. »Meiner Ansicht nach ist das völlig in Ordnung.«
    »Dann sind Sie sogar noch dümmer, als ich glaubte, Keyes«, schrie er. Mit einer weit ausholenden Geste zerriß er den Brief und warf die Fetzen auf den Boden. Dann stampfte er wütend davon.
    Einen Augenblick starrte ich zu Boden. Die kleinen Papierfetzen hoben sich weiß von dem staubigen Grau ab. Dann lief ich hinter ihm her. Er wandte sich zu mir um. »Ich danke Ihnen«, sagte ich.
    Er nickte gereizt. »Schon gut, Mike. Sie haben doch wohl nicht angenommen, daß ich einen guten Mitarbeiter so leicht gehen lasse, oder?«
    Ich lächelte ihn an. »Nicht für mich, Sir. Für Marja.«
    Er sah mir in die Augen, und sein Blick wurde freundlicher. »Vergessen Sie niemals, Mike«, erklärte er leise, »daß auch die Gnade auf die Waagschale der Gerechtigkeit gelegt werden muß.«
    Ich schwieg. Gnade. Das war ein großes Wort. Das größte. Ich fragte mich, ob es mir jemals gelingen würde, es in die Wirklichkeit umzusetzen.
    Bevor ich noch antworten konnte, schlug er mir auf die Schulter. »Gehen Sie in Ihr Büro zurück, mein Junge. Dort wartet jemand auf Sie.«
    Am Ende des Ganges blieb er stehen, und ich kehrte in mein Büro zurück. Langsam öffnete ich die Tür. Es war niemand da. Offenbar drehte der Alte durch. Ich ging hinein und setzte mich an meinen Schreibtisch. Vom kleinen Sofa an der Wand her vernahm ich jetzt das Rascheln von Kleidern. Erstaunt blickte ich auf.
    Ein kleines Mädchen trat auf mich zu. Ihr Haar war vom strahlendsten Gold, das ich jemals gesehen hatte. Ihre Augen waren groß und blau.
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