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Die Moralisten

Titel: Die Moralisten
Autoren: Unbekannter Autor
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halte ich es für unbedingt notwendig, daß Mr. Keyes in den Zeugenstand gerufen wird.«
    Der Richter sah mich an, und ich durchquerte den Raum. Vito beobachtete mich, und sein Gesicht hatte einen verschlossenen Ausdruck. Marja sah zu mir auf, als ich an ihrem Tisch vorbeiging. Ihr Gesicht war bleich und wirkte gequält. Dann war nur noch der Zeugenstand vor mir. Ich stieg die Stufe hinauf und wandte mich dem Gerichtsschreiber zu, der mir den Eid abnehmen wollte. Blitzlichter flammten auf, die mich für einen Augenblick blendeten. Da vernahm ich ihre Stimme. Sie klang fest und klar. »Euer Ehren, darf ich einen Augenblick mit meinem Anwalt sprechen?« fragte Marja den Richter. »Ich möchte mich schuldig bekennen.«
    Wieder brach im Gerichtssaal ein Tumult aus, der noch stärker war als der vorhergehende. Noch mehr Blitzlichter zuckten auf, und als ich wieder klar sehen konnte, war Vito an ihren Tisch zurückgekehrt. Ganz offensichtlich waren sie verschiedener Meinung. Dann blickte Vito zum Richter auf. »Euer Ehren, darf ich um eine Unterbrechung von zehn Minuten bitten? Ich muß mich mit meiner Mandantin kurze Zeit unter vier Augen besprechen.«
    Der Richter schlug mit dem Hammer auf den Tisch. »Das Gericht zieht sich für zehn Minuten zurück.« Er verließ den Saal. Ich trat aus dem Zeugenstand und begab mich wieder an meinen Tisch.
    Marja und Vito waren bereits im Konferenzzimmer verschwunden. Ich blickte mich im Gerichtssaal um. Im Zuschauerraum standen die Leute dicht aneinandergedrängt. Eine Hand zupfte an meinem Ärmel, und ich sah auf.
    Es war der Oberstaatsanwalt. »Sie hatten recht«, flüsterte er, und in seiner Stimme lag Bewunderung. »Diese Frau hat den Teufel im Leib. Das kann man wohl sagen!«
    Die Tür des Konferenzzimmers öffnete sich, und Vito trat allein heraus. Er betrachtete die Menge, als suchte er jemanden. Ich bemühte mich, seinem Blick zu folgen, aber es gelang mir nicht. Er machte eine Kopfbewegung, die fast wie ein Nicken aussah, und kehrte in das Konferenzzimmer zurück.
    Noch immer musterte ich die Menge. Einen Augenblick später erhob sich ein Mann. Im grellen Licht der Deckenbeleuchtung schimmerte sein weißes Haar. Er ging den Gang zwischen den Bankreihen entlang zur Tür. Ich erkannte ihn sofort: Joker Martin. Ich fragte mich, was er hier suchte, aber dann öffnete sich erneut die Tür des Konferenzzimmers, und ich dachte nicht mehr daran.
    Als erste betrat Marja den Gerichtssaal; sie wirkte gefaßt und ruhig. Vito folgte ihr. Sie gingen zu ihrem Tisch und setzten sich.
    Kurz darauf wurde die Sitzung wieder eröffnet. Vito erhob sich und sah den Richter an. Er war bleich, aber seine Stimme klang fest. »Meine Mandantin wünscht, sich in allen Punkten der Anklage für schuldig zu bekennen.«
    Der Richter sah sie an. »Ist das Ihr Wunsch, Miß Flood?« fragte er. Langsam erhob sie sich. »Ja, Euer Ehren.«
    Wir drängten uns mühsam durch die Menge bis zu den Fahrstühlen. Mein Rücken schmerzte, denn so viele hatten mir wohlmeinend darauf geklopft. Endlich stand ich mit dem Oberstaatsanwalt allein im Fahrstuhl.
    »Mein Entlassungsgesuch wird nachher auf Ihrem Schreibtisch liegen, Sir«, sagte ich.
    Er sah mich nicht an.
    »Es tut mir leid, ein solches Durcheinander herbeigeführt zu haben, Sir«, fuhr ich fort.
    Er sagte noch immer nichts.
    Der Fahrstuhl hielt in meinem Stockwerk, ich stieg aus und ließ ihn im Fahrstuhl zurück. Ich ging den Gang entlang zu meinem Büro. Joel und Alec waren noch immer unten. Ich setzte mich an meinen Schreibtisch und legte mir einen Bogen Papier zurecht. Rasch schrieb ich mein Gesuch, steckte es in einen Umschlag und schickte es zum Chef hinauf.
    Auf meinem Schreibtisch klingelte das Telefon. Ich nahm den Hörer ab. »Keyes«, sagte ich. Hier würde ich nun nicht mehr lange sitzen.
    »Mike, hier ist Marja.«
    »Ja, bitte, Marja?« fragte ich erschöpft.
    »Ich sitze in der Boyd-Cocktail-Stube am Broadway. Könntest du sofort herüberkommen?«
    Das mußte man ihnen lassen, sie hatten schnell gearbeitet. Ihre Kaution war auf fünfzigtausend Dollar festgesetzt worden. Ich zögerte.
    »Bitte, Mike«, sagte sie. »Es ist sehr wichtig.«
    »Na gut«, antwortete ich. »Ich komme gleich.« Ich nahm meinen Mantel. Morgen war immer noch Zeit, um meinen Schreibtisch aufzuräumen.
    Unterwegs begann es zu schneien. Als ich in den nur schwach beleuchteten Raum trat, sah ich sie an einem Tisch in der Ecke sitzen. Ich setzte mich neben sie. Ein Kellner
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