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Die Moralisten

Titel: Die Moralisten
Autoren: Unbekannter Autor
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näherte sich.
    »Was möchtest du?« fragte ich sie.
    »Cassis und Soda«, antwortete sie.
    »Gin mit Eis für mich.« Der Kellner entfernte sich. Ich wandte mich ihr zu. »Trinkst du noch immer das verrückte Zeug?«
    »Es schmeckt mir.«
    Der Kellner kam zurück und stellte die Gläser vor uns hin.
    Ich hob mein Glas. »Auf das Verbrechen!«
    Sie sah mich fest an. »Darauf trinke ich nicht.«
    Ich verzog das Gesicht.
    »Das hat Ross immer gesagt«, erklärte sie. »Ich bin in diesen Dingen abergläubisch.«
    »Weißt du etwas Besseres?« fragte ich.
    Sie nickte.
    »Und das wäre?«
    Ihre Augen blickten in die meinen. »Auf uns!« sagte sie mit fester Stimme.
    Ich spürte die Wärme, die von ihr ausging. »Nicht übel«, antwortete ich und nahm einen Schluck. Ich stellte das Glas hin und schaute sie an. »Nun, worüber wolltest du eigentlich mit mir sprechen?«
    Ein Mann betrat das Lokal. Sie streifte ihn mit einem Blick und sah dann wieder mich an. »Über uns, Mike.« Ihre Hand legte sich auf die meine. »Ich glaube, es ist an der Zeit.«
    Ich fühlte die Berührung wie einen elektrischen Strom und versuchte, meine Stimme ruhig klingen zu lassen. »Findest du?«
    Sie nickte. »Kein anderer kommt für mich in Frage.«
    Ich atmete rief ein. »Du hast lange gebraucht, um zu dieser Entscheidung zu gelangen.«
    »Es tut mir leid, Mike. Aber ich konnte nicht anders. Ich habe keinen besseren Weg gewußt. Ich habe es dir gestern abend im Wagen erklärt.«
    Ich brauchte Zeit zum Nachdenken. Das Blut in meinen Schläfen pochte, und ich wechselte das Thema. »Wer hat deine Kaution gestellt?« fragte ich.
    Die Tür öffnete sich, und wieder trat ein Mann ein. Automatisch blickte sie kurz und abschätzend zu ihm auf. »Joker Martin«, sagte sie.
    Deswegen also war er im Gerichtssaal gewesen. Wahrscheinlich war Vito in den Saal zurückgekehrt, um sein stillschweigendes Einverständnis mit dem Schuldbekenntnis zu erlangen. Ich hatte gehört, daß er fast alle zwielichtigen Unternehmen in der Stadt kontrollierte. Ich antwortete nicht.
    Sie beugte sich zu mir vor, und der Duft ihres Parfüms streifte mich. »Es dauert nicht so lange, Mike«, fuhr sie fort. »Bei guter Führung werde ich in ein paar Jahren wieder entlassen. Dann können wir irgendwo hingehen und ein neues Leben anfangen. Niemand wird etwas über uns wissen.«
    Wieder trat ein Mann durch die Tür, ihre Augen streiften ihn. Ihre Stimme war leise und tief. »Werden wir es schaffen, Mike?«
    Ich seufzte auf. Langsam zog ich meine Hand zurück.
    Sie blickte auf meine Hände und dann in mein Gesicht. Ihre Augen verschleierten sich. »Was ist, Mike? Die Gefängnisstrafe?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    Ihre Stimme klang nun ein wenig schärfer. »Was ist es dann? Ich habe ein Recht, es zu erfahren, Mike.«
    »Wie sieht meine Tochter aus, Marja?« Meine Stimme kam mir wie die eines Fremden vor.
    Plötzlich hatte sie verstanden. »Ach, das ist es.«
    Ich nickte. »Das ist es.« Ich betrachtete meine Hände und sah das langsame Pulsieren des Blutes in den Adern. »Ich hätte dir niemals dein Kind vorenthalten können, wie du es mir gegenüber getan hast.« »Was blieb mir denn anderes übrig, Mike?« fragte sie. »Damals lagen Welten zwischen uns.«
    »Wieso glaubst du, daß wir jetzt einander näher sind?« erwiderte ich schroff und blickte ihr in die Augen. »Mein ganzes Leben lang habe ich auf dich gewartet. Ich habe geglaubt, du könntest nichts tun, was ich nicht verzeihen oder entschuldigen könnte. Aber ich habe mich geirrt. Das einzige, was du niemals hättest tun dürfen, war, mich um mein Kind zu betrügen.«
    »Es ist auch mein Kind, Mike, vergiß das nicht«, entgegnete sie. »Es ist das einzige in der Welt, das mir gehört, mir allein. Es gehört mir mehr als dir.«
    »Genau das meine ich, Marja«, sagte ich, und tiefe Müdigkeit erfüllte mich. »Es hätte unser Kind sein können. Aber du hast nur an dich gedacht. Nicht an das Kind und nicht an mich. Du hattest nur einen Gedanken: Es behalten.«
    »Es ist noch nicht zu spät, Mike. Wir können noch immer von vorn anfangen.«
    »Nein, Marja.« Ich schüttelte den Kopf. »Du kannst die Uhr nicht zurückstellen. Du hast es mir selbst einmal gesagt. Erinnerst du dich noch?«
    Ihre Augen waren groß und dunkel. Sie waren mir so sehr vertraut, und dennoch empfand ich sie fast wie die einer Fremden. Dann verwandelte sich ihr Gesicht in eine undurchdringliche Maske. Sie erhob sich langsam. Ohne ein Wort ging sie auf die
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