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Die Moralisten

Titel: Die Moralisten
Autoren: Unbekannter Autor
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dem erforderlichen Anflug von Mitleid.
    Er nickte niedergeschlagen. »Das sind schon Ärzte! Ausgerechnet am Vorabend des wichtigsten Prozesses meiner Laufbahn.«
    Ich wußte, was er meinte. In ein paar Monaten würden sich die Parteileute im ganzen Staat zu ihren Beratungen zurückziehen.
    Sobald sie die Fenster der Hinterzimmer in den Kneipen öffneten, um den Whiskydunst und den Tabakrauch abziehen zu lassen, würde ein neuer Gouverneur im Sattel sitzen.
    Der Alte hatte den Zeitpunkt des Prozesses sehr geschickt gewählt. Nicht so früh, daß man die Sache vergaß, nicht so spät, daß schon alles entschieden war. Aber jetzt hatte er Angst um seine Chancen.
    Er sah mich über das Fußende des Bettes hinweg an. »Mike«, flüsterte er, »Sie sind niemals wie die anderen gewesen. Sie sind für mich - ja, fast wie ein Sohn. Sie waren für mich der einzige in dem ganzen verdammten Amt, auf den ich stolz war. Sie waren mein Mann.
    Ich habe mir alles genau überlegt, und wenn es schiefgehen sollte, muß ich mich eben damit abfinden. Dann nenne ich es Gottes Wille.« Er zuckte fast unmerklich die Achseln. Eine Weile schwieg er, dann sagte er mit harter Stimme: »Aber ich werde es niemals zulassen, daß solche aalglatten, opportunistischen Schweinehunde hinter mir die Treppe hinauffallen!«
    Wir sahen uns ein paar Augenblicke lang schweigend an. »Übernehmen Sie an meiner Stelle die Sache vor Gericht, Mike«, bat er. »Sie haben freie Hand. Sie sind der Chef. Sie können tun, was Sie wollen. Sie dürfen sogar das Gericht ersuchen, die ganze Sache fallenzulassen, weil unser Belastungsmaterial unzureichend ist. Wenn Sie wollen, können Sie mich sogar als Narren hinstellen. Mir ist das gleich. Aber lassen Sie nur nicht einen der anderen auf meiner Leiche herumtrampeln.«
    Ein Lächeln spielte über sein Gesicht hin. »Sie machen doch die Sache, Mike?«
    Ich nickte. »Ja, John.«
    Er griff unter das Kissen und holte einige mit der Schreibmaschine getippte Notizen hervor. »Betrifft die Geschworenen. Achten Sie auf Nummer drei ...«
    Ich unterbrach ihn. »Über die Geschworenen weiß ich Bescheid. Ich habe die Berichte gelesen.« Ich ging zur Tür, öffnete sie und blickte zu ihm zurück. »Außerdem haben Sie mir doch freie Hand zugesagt
    - vergessen Sie das nicht!«
    Ich hatte kaum die erste Stufe zum Gericht erreicht, als die Reporter auf mich eindrangen. Ich lächelte verbissen, während ich mich bemühte, mir einen Weg durch sie hindurch zu bahnen. Der Alte mußte, nachdem ich sein Zimmer verlassen hatte, sofort herumtelefoniert haben.
    »Wir haben erfahren, daß Sie den Prozeß gegen Maryann Flood für den Oberstaatsanwalt übernehmen, Mr. Keyes. Ist diese Information richtig?« Sie verfolgten mich mit einem Sperrfeuer von Fragen.
    Ich blieb auf den Stufen stehen und streckte abwehrend die Hände aus. »Lassen Sie mich erst einmal Luft holen, meine Herren«, bat ich. »Wie Sie wissen, bin ich erst heute früh von den Ferien zurückgekommen.«
    »Trifft es zu, daß der Oberstaatsanwalt Ihnen vorgestern, bevor er ins Krankenhaus ging, ein Telegramm geschickt hat? Daß die Vertagung nur deswegen beschlossen wurde, um Ihnen Zeit zur Rückkehr zu geben?«
    Ich drängte mich durch die Drehtür. Ein paar Blitzlichter flammten auf, und rote Lichter tanzten vor meinen Augen. An der Tür zum Fahrstuhl wandte ich mich um und sah sie an.
    »In der Mittagspause werden wir eine Erklärung für Sie bereit haben, meine Herren. Von da ab will ich versuchen, nach Möglichkeit jede Frage zu beantworten. Jetzt wünsche ich mir nichts weiter, als ein paar Minuten allein zu sein, bevor ich den Gerichtssaal betrete.«
    Ich fuhr bis zum siebten Stockwerk hinauf und begab mich in mein Büro am Ende des Ganges.
    Dort erwartete mich bereits Joel Rader. Er trat mit ausgestreckter Hand auf mich zu. »Ich wünsche Ihnen alles Gute, Mike.«
    »Vielen Dank, Joel«, sagte ich. »Ich kann es brauchen.« Joel war einer der Männer, die der Alte gemeint hatte. Er war intelligent, energisch und ehrgeizig, nur ein paar Jahre älter als ich.
    »Wie geht es dem Alten?« fragte er.
    »Sie kennen ihn doch«, antwortete ich und lächelte. »Er meckert.« Ich ging auf meinen Schreibtisch zu.
    »Sie hätten ihn neulich hören sollen, als der Arzt ihm reinen Wein einschenkte«, sagte er und folgte mir. »Er hätte dem Arzt fast den Kopf abgerissen.«
    »Das kann ich mir vorstellen«, erwiderte ich und warf Hut und
    Mantel auf die Holzbank meinem Schreibtisch
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