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Die Moralisten

Titel: Die Moralisten
Autoren: Unbekannter Autor
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Modevorführungen und dergleichen. Geschäftsführer: Maryann Flood.«
    Ich blätterte zur nächsten Seite um. Sie enthielt einen Polizeibericht über Marja. Ich überflog ihn rasch, während ich wieder zu den Geschworenen hinüberging. Erste Festnahme wegen Angriffs auf den Stiefvater mit tödlicher Waffe. Verhandlung vor Richter Ross, Jugendgericht. In das Rose-Geyer-Heim für schwererziehbare Mädchen eingewiesen. Nach Vollendung des achtzehnten Lebensjahres
    entlassen ... Erneut verhaftet wegen Herumtreibens mit der Absicht, einen Akt der Prostitution zu begehen sowie aufgrund der Durchführung dieses Aktes. Für schuldig befunden. Zu dreißig Tagen Arbeitshaus verurteilt ... Ein weiteres Verfahren mangels Beweisen eingestellt ... Keine weiteren Verhaftungen ... Bekannt für ihren Umgang mit vorbestraften Personen ... Spielte eine Rolle als Kronzeugin bei der Ermordung von Ross Drego, einem bekannten Spieler und Gangster in Los Angeles ... Ich ordnete die Papiere sorgfältig in meiner Hand und deutete mit ihnen auf die Geschworenen. »Von diesen Anfängen ausgehend, begann die Staatsanwaltschaft Material über einen Fall von Laster und Korruption zusammenzustellen, bei dem sich sogar den abgebrühtesten Beamten die Haare sträubten. Es war die Geschichte unschuldiger junger Mädchen, die in ein Leben der Prostitution und Perversion, der Erpressung und der Korruption hineingetrieben wurden, dessen Ausläufer bis in die Spitzen der Wirtschaft, der Gesellschaft und der Behörden dieser Stadt reichten. Und alle diese bedauerlichen Umtriebe lassen sich, wie aus dem Beweismaterial hervorgeht, auf die Machenschaften und Planungen einer einzigen Person zurückführen.« Ich wandte mich um und deutete mit den Papieren in einer dramatischen Geste zum Tisch der Angeklagten hinüber. »Maryann Flood!«
    Ohne die Geschworenen noch einmal anzusehen, kehrte ich an meinen Tisch zurück und setzte mich unter dem ansteigenden Gemurmel der Stimmen aus dem Zuschauerraum nieder. Ich starrte die Tischplatte an. Meine Augen brannten, und ich kniff sie völlig erschöpft zusammen.
    »Gut gemacht!« hörte ich Joel flüstern.
    »Die haben Sie ordentlich eingedeckt!« Das war Alecs Stimme von der anderen Seite her.
    Ich blickte nicht auf. Ich wollte sie nicht ansehen müssen. Ich hatte das Gefühl, als seien Jahre verstrichen, seitdem ich aufgestanden war, um mich an die Geschworenen zu wenden.
    Vom Tisch des Richters her hörte ich den Schlag des Hammers, dann die tiefe Stimme: »Das Gericht vertagt sich bis zwei Uhr.« Mechanisch erhob ich mich, als der Richter den Gerichtssaal verließ. Dann ging ich zum Privatausgang, der zu den Büros der
    Staatsanwaltschaft führte.
    Wir vermieden die Reporter, indem wir das Haus durch den Keller verließen. Im Restaurant Old Mill gab man uns einen Tisch in einer entlegenen Ecke. Ich setzte mich mit dem Rücken zu den übrigen Gästen, Joel und Alec gegenüber. Die Kellnerin kam zu uns.
    »Ich muß dringend etwas trinken«, erklärte ich und bestellte Gin mit Eis und Zitrone. »Wie steht’s mit euch?«
    Die beiden schüttelten den Kopf und bestellten ihr Essen. Im Raum hinter uns erhob sich Gemurmel. Ich brauchte mich nicht umzudrehen, um zu wissen, wer gekommen war. Dennoch sah ich Joel fragend an.
    Er nickte. »Sie sind da.«
    Ich brachte mühsam ein Lächeln zustande. »Wir leben eben in einem freien Land.« Plötzlich konnte ich es nicht mehr erwarten, bis ich meinen Gin bekam. Wenn sich diese verfluchte Kellnerin nur beeilen würde. »Wo ist mein Drink?« knurrte ich gereizt.»Die Kellnerin ist auf dem Rückweg an ihrem Tisch stehengeblieben, um Bestellungen entgegenzunehmen«, erklärte Alec rasch.
    Einen Augenblick später stellte sie das Glas vor mich hin. Ein seltsamer Ausdruck lag auf ihrem Gesicht, den ich sofort verstand, als ich das Glas aufhob. Auf dem Untersatz stand etwas geschrieben. Ich brauchte mir nicht die Unterschrift anzusehen, um den Absender zu erkennen. Es war noch immer das gleiche kindliche Gekritzel. »Gratuliere zur großen Stunde, Herr Staatsanwalt«, stand da. »Alles Gute!« Unterschrift: »Marja.«
    Ich zerknüllte die Papierunterlage zwischen meinen Fingern, damit die anderen nicht sehen konnten, daß etwas darauf geschrieben war, und trank einen Schluck. Das war es, was ich an ihr immer bewundert hatte. Sie fürchtete sich vor nichts.
    Sie wünschte mir alles Gute und wußte dabei ganz genau, daß sie, falls für mich alles glatt ging, die nächsten zehn Jahre im
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