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Die Moralisten

Titel: Die Moralisten
Autoren: Unbekannter Autor
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entgegnete er. »Ich bin Ihr Anwalt, und meine Aufgabe ist es, Sie zu verteidigen. Sogar gegen Sie selbst.« Sie atmete tief auf. »Um ihn geht es gar nicht. Hätte ich gewollt, daß er es erfährt, dann hätte ich es ihm schon vor langer Zeit mitgeteilt. Aber mir geht es um Michelle. Sie ist jetzt glücklich. Sie lebt in dem Glauben, daß ihr Vater im Krieg gefallen ist. Was, glauben Sie, würde sie empfinden, wenn sie dahinterkäme, wie sie auf die Welt gekommen ist?«
    »Bilden Sie sich ein, ihr ist es lieber zu wissen, daß ihre Mutter im Kittchen sitzt?« fragte Vito.
    »Das ist immer noch besser, als herauszufinden, daß sie ein uneheliches Kind ist!« stieß Maryann scharf hervor.
    Vito erhob sich. »Sie tun, was ich sage«, erklärte er. »Für Sie steht jetzt zuviel auf dem Spiel, um noch aussteigen zu können.« Er wandte sich an den Oberstaatsanwalt. »Nun, John, was sagen Sie dazu?«
    Der Alte sah ihn schweigend an.
    »Können wir einen Vergleich schließen?« fuhr Vito hartnäckig fort. Die Augen auf mich gerichtet, antwortete der Oberstaatsanwalt bedächtig: »Keyes bearbeitet diesen Fall. Ich habe es mir zum obersten Grundsatz gemacht, meinen Staatsanwälten niemals Vorschriften zu machen. Fragen Sie ihn.«
    Vito sah mich fragend an.
    »Ein Vergleich kommt nicht in Frage«, erwiderte ich.
    »Sie werden es bereuen, Mike«, rief er. »Ich werde Sie in den Zeugenstand rufen, und wenn ich mit Ihnen fertig bin, sind Sie erledigt.«
    »Ich lasse es darauf ankommen«, entgegnete ich verbissen.
    Vito wandte sich erneut an den Chef. »Und damit sind auch Ihre Aussichten auf den Posten des Gouverneurs im Eimer.«
    Die Augen des Oberstaatsanwalts waren undurchdringlich.
    »Ich stehe hinter Keyes«, antwortete er.
    Vito wandte sich mit rotem, zornigem Gesicht zur Tür. »Kommen Sie, Maryann!«
    Sie folgte ihm.
    »Marja!« rief ich.
    Sie blieb stehen und sah mich an.
    Ich trat zu ihr und ergriff ihre Hand. »Warum hast du es mir nie gesagt?« fragte ich leise.
    Sie antwortete mir nicht. Ihre Augen hatten einen seltsamen Glanz. Ich fragte mich, ob es Tränen waren.
    »Warum, Marja?« wiederholte ich.
    Fest und unverwandt sah sie mich an. »Ich habe ein Kind verloren, weil man der Ansicht war, ich könnte nicht für es sorgen, Mike«, flüsterte sie. »Ich wollte dieses nicht auch verlieren.« »Kommen Sie, Marja?« rief Vito schroff von der Tür her.
    »Entschuldige, Mike«, sagte sie leise, entzog mir ihre Hand und ging zur Tür.
    Langsam kehrte ich zum Alten zurück. »Ich habe Ihnen die Sache ganz schön verpatzt.«
    Er lächelte. »Verzeihen Sie, Mike, daß ich Ihnen nicht vertraut habe.«
    »Schon gut John«, erwiderte ich. »Das ist jetzt unwichtig.« Schwerfällig erhob er sich. »In ein paar Minuten tritt das Gericht zusammen. Es ist besser, wir gehen gleich hinunter. Wir werden das beste daraus machen.«
    Ich hatte ein Gefühl, wie es wohl die Gladiatoren im alten Rom hatten, als sie in die Arena traten.
    »Morituri te salutant«, sagte ich.
    Er war ganz in seine eigenen Gedanken versunken.
    »Was heißt das?« fragte er scharf.
    Ich lächelte ihn an. Er war so stolz auf seine lateinischen Kenntnisse. Nur selten gelang es, ihm eins auszuwischen, und sei es nur dank einer Unaufmerksamkeit auf seiner Seite. »Die dem Tod Geweihten grüßen dich«, übersetzte ich und grinste.
    Im Gerichtssaal herrschte eine Atmosphäre gedämpfter Spannung. Es war, als ob alle fühlten, daß sich etwas Besonderes vorbereitete. Sogar die normalerweise gelassenen Gerichtsschreiber wirkten unruhig.
    Der Richter erschien mit einer Verspätung von zwanzig Minuten. Wir erhoben uns, als er das Podium bestieg. Gleich darauf wurde die Sitzung eröffnet.
    Vito erhob sich und ging auf den Richtertisch zu. Seine Stimme hallte durch den Gerichtssaal. »Die Verteidigung möchte als ersten Zeugen Mr. Michael Keyes aus dem Stab des Oberstaatsanwaltes aufrufen!«
    Der Richter war sichtlich verblüfft. Er blickte zu uns herüber, während sich im Gerichtssaal ein Tumult erhob. Ich hörte die Schritte einiger Reporter, die zwischen den Bankreihen hindurch zu den Ausgängen eilten. Der Richter klopfte mit dem Hammer, um die Ruhe wiederherzustellen. Gleich darauf wurde es still.
    »Das ist ein äußerst ungewöhnlicher Antrag, Herr Anwalt«, erwiderte er. »Ich nehme an, daß Sie eine ausreichende Begründung für einen solchen Antrag haben.«
    »Die habe ich, Euer Ehren«, antwortete Vito. »Damit meiner Mandantin Gerechtigkeit widerfährt,
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