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Die Mondspielerin: Roman (German Edition)

Die Mondspielerin: Roman (German Edition)

Titel: Die Mondspielerin: Roman (German Edition)
Autoren: Nina George
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vorbeikam, sah der Verkäufer auf. »Ma chère Madame!«, rief er. »Sie sehen bezaubernd aus!«
    »Danke. Verkaufen Sie auch Schuhe, die einen an die Orte tragen, wohin man gehört?«
    »Ah! Natürlich!« Er zückte ein paar rote Pumps mit weißen Pünktchen. »Wollen Sie dort die Liebe finden?«
    Der Verkäufer zwinkerte Lothar zu, der sie argwöhnisch beobachtete.
    Ja. Das will ich.
    Marianne schritt rasch auf das nächste Taxi zu.
    »Wir können doch den Bus ins Zentrum nehmen, das ist billiger«, schlug Lothar vor.
    »Und ich bin sechzig und habe keine Lust auf den Bus«, antwortete Marianne und stieg ein. Lothar auf der anderen Seite hinterher.
    Als das Taxi anfuhr, griff ihr Mann nach Mariannes Hand.
    »Verzeih mir«, flüsterte er. Er presste ihre vor Schreck ganz steifen Finger an seine scharf rasierte Wange, schmiegte sich ganz hinein, schloss die Augen.
    Marianne wusste nicht, was sie tun sollte.
    Er küsste ihre Handinnenfläche. »Verzeih mir«, bat er inständiger. »Verzeih mir, Marianne, dass ich dich nicht so geliebt habe, wie du es brauchst.« Er führte Mariannes Hand über seine Wange, als ob sich ihr Mann wünschte, sie würde ihn endlich von selbst streicheln.

    Und da fiel es Marianne auf: Sie hatte Lothar noch nicht ein Mal, seit sie sich wiedergesehen hatten, umarmt oder geküsst. Und sie hatte es auch nicht gewollt.
    »Können wir denn nicht lernen, uns so zu lieben, wie es nötig ist?«, fragte er nun. Bittend. Er versuchte, Marianne an sich zu ziehen, durch ihr Haar zu streichen.
    Sie wehrte ihn ab.
    »Ich habe dein Leben gelebt, Lothar. Nicht meins. Ich gebe dir dafür die Hälfte der Schuld, und die andere mir. Ich war zu bequem, und du auch. Das hat mit Liebe nichts zu tun.«
    Er senkte den Kopf. »Und wenn ich … wenn ich von heute an dein Leben lebe? So wie du es willst?«
    Er hat es nicht verstanden. Niemand sollte das Leben eines anderen führen. Ich nicht. Er nicht.
    »Mit deinem Zimmer. Deinem Akkordeon. Und wenn ich erst mal in Frühpension gehe, wird alles anders. Wir können auch mal Urlaub in Kerdruc machen, wenn du das willst.«
    Mal Urlaub in Kerdruc. Lothar in Frührente. Leben in Celle.
    Das Taxi bremste. »Da vorn hat’s gekracht«, sagte der Fahrer mürrisch.
    Marianne bemerkte, dass es der Pont Neuf war, auf dem sie gerade hielten. Fast auf Höhe der Ausbuchtung, von der aus sie in die Seine gesprungen war, willens, ihrem Leben ein Ende zu setzen.
    Hatte Lothar schon immer so nach nassen Mauern gerochen? Marianne schnallte sich ab, öffnete die Tür und stieg aus.
    »Wo willst du hin?«, fragte er alarmiert. »Marianne!«
    Marianne ging auf jene Stelle zu, an der sie ein Ende gesucht und einen Anfang gefunden hatte. Und sie wäre fast an der Stelle vorbeigefahren, wenn sich nicht zufällig zwei Fahrer entschieden hätten, ihre Autos ineinanderknallen zu lassen.
    War das Leben so zufällig in seinen Möglichkeiten? Oder kam es nur darauf an, sie zu begreifen? Und mit einer Klarheit, die ihr Herz durchdrang und ihren Geist durchströmte, war sich Marianne sicher: Es waren immer nur ein oder zwei Stunden gewesen, auf die es ankam. Jene der eigenen Entscheidungen. Jene der Freiheit.
    Eine große Ruhe dehnte sich in ihr aus.
    Jetzt verstand sie die Wut der Galeristin, die sie ihr so zornig hinterhergeschleudert hatte: Für Colette war jene Marianne, die sich selbst eine Chance gab, gestorben. Hatte kapituliert.
    Sie drehte sich zu Lothar um, wie er dort auf dem Rücksitz des Taxis saß und sie durch die Scheibe beobachtete.
    Ich weiß nicht, warum wir Frauen glauben, unser Verzicht auf unsere Sehnsüchte mache uns für euch Männer liebenswerter. Was denken wir uns bloß? Wer auf seine Wünsche verzichtet, verdient die Liebe eher als jene, die ihren Träumen folgen?
    »Marianne! Wir wollen weiterfahren!«
    Und dann fiel es Marianne auf, was mit ihr passiert war.
    Genau das habe ich gedacht. Je mehr ich litt, desto glücklicher war ich. Je mehr ich verzichtete, desto stärker wurde meine Hoffnung, dass Lothar mir gibt, was ich brauche. Ich glaubte, wenn ich nichts will, keine Vorwürfe erhebe, kein eigenes Zimmer beanspruche, kein eigenes Geld, keinen Streit provoziere – dass dann das Wunder geschehe. Dass er sagt: Oh! Wie sehr du verzichtet hast! Wie groß meine Liebe geworden ist, weil du dich für mich geopfert hast!
    Der Stau begann, sich aufzulösen.
    Ich Wahnsinnige. Ich war so stolz auf mich und meine Fähigkeit, zu leiden; ich wollte perfekt darin sein. Je
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