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Die Mondspielerin: Roman (German Edition)

Die Mondspielerin: Roman (German Edition)

Titel: Die Mondspielerin: Roman (German Edition)
Autoren: Nina George
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hatten sie begonnen, Marianne zu grüßen, während sie frühstückte.
    Sie war durch die Stadt gestreift, erst zu Fuß, dann mit der Metro, kreuz und quer, sie war mal hier, mal dort ausgestiegen, bis sie eine dieser Fahrradverleihstationen gefunden hatte, günstiger als jedes Tagesticket der Metro. Und Marianne war auf einem silbernen Velo durch Paris gefahren, durch ein aufatmendes Paris mit vielen freien Parkplätzen. Saint Germain, Quartier Latin, an der Sorbonne vorbei, ins Marais und dann quer nach Westen bis zum Eiffelturm, klingelnd die Champs-Elysées hinab. In den Parks und an den Seine-Playas sonnten sich Studenten, an den Kanälen fischten Angler, auf den Hausbooten schliefen Maler über ihren Entwürfen ein, und Touristen küssten sich beim Sonnenuntergang auf dem Pont des Arts mit Blick auf den Eiffelturm.
    Marianne suchte. Sie suchte den Platz, der für sie vorgesehen war; und wenn er nicht hier zu finden war, dann musste sie auf die Reise gehen. Aber vorher wollte sie sich sicher sein, dass es nicht Paris war, die Stadt, die ihr ein Ende und einen Anfang geschenkt hatte. Sie war sich sicher, die Stadt würde ihr ein Zeichen geben.
    Immer wieder war sie zu der Parkinsel an der Île de la Cité gefahren, in der Hoffnung, den Clochard zu erspähen, der sie aus der Seine gezogen hatte.
    Marianne strich sich die Krümel von den Fingern und stand auf. Die Arletty, wie das Kanalboot hieß, war fort, und irgendwo in den Straßenfjorden hallte das Motorengeräusch einer Vespa wider. Es überlagerte sich mit den Klängen des Libertango.
    Und mit diesem Lied stürmte alles wieder auf Marianne ein, was sie so erfolgreich verdrängt hatte, während sie durch die Stadt geflohen war, nur um ihre Gedanken nicht weit über das Land fliegen zu lassen, nach Westen, bis zu einem Hafen an einem Fluss und in ein Zimmer, in dem ein Kater kläglich miauend an Mariannes Kopfkissen roch.
    Ihr Herz war nicht mehr länger bereit, Kerdruc zu ignorieren.
    Während sich die Vespa entfernte, rollten die Bilder auf Marianne zu, unaufhaltsam.
    Das Meer. Yann, über ihr. Jeanremys Füße, die tanzten. Genevièves suchender Blick nach Rozbras. Weiße Rosen in einer schwarzen Vase. Eine Katzenschar über feinstem China-Porzellan und die steile Tachonadel des Jaguars. Sidonies Hand mit dem Kiesel. Der blühende Garten hinter Emiles Haus im Wald. Genevièves rotes Kleid.
    In Marianne erzitterte etwas. Morgen war der 1. September.

48
    K ein Mensch würde ihn bei dem stören, was er vorhatte. Jeanremy hatte am letzten Augusttag kurzerhand die Küche für geschlossen erklärt. Und heute, am 1. September, war tatsächlich niemand gekommen. Kein einziger der Stammgäste. Paul nicht, Simon nicht, weder Marieclaude noch Colette. Sogar Geneviève war fort. Sollten sie doch alle zusehen, wo sie blieben, ihm war es gleich!
    Jetzt würde er auch den anderen Teil seines Lebens abschließen.
    Jeanremy griff neben sich, zog einen seiner Briefe an Laurine aus einem Kuvert und las ihn sich durch.
    »Geliebte, mon cœur, meine Sonne, mein Licht. Wusstest Du, dass Du meine erste Liebe bist? So fühlt es sich an, genau so. Ich bin ahnungslos, es ist, als träfe es mich zum ersten Mal. Die Sehnsucht, die Löcher in meine Seele brennt, wenn Du nicht um mich bist. Die Erleichterung, wenn Du mich ansiehst, und diese Lust, Dir dann alles zu geben, was ich bin. Mein Herz, meine Hoffnungen, ich würde Dir sogar meine Hände geben und meine Augen. Ich will Dir meine Zukunft überreichen und meine Vergangenheit, als ob sie erst in Deinen Händen etwas wert wären. Laurine, ich spreche Deinen Namen aus, er bedeutet für mich dasselbe wie Liebe.«
    Er faltete den Brief zu einem Schiffchen und stellte ihn neben die Papierboote, die er bereits aus den anderen Briefen gefaltet hatte.
    Dann nahm er sich den nächsten.
    »Meine Blume, wie aufregend und elegant, wie rein und wie groß Du bist. Allein Dich gekannt zu haben wird mich ruhiger sterben lassen. Dich zu lieben wird mein Leben nicht sinnlos ins Leere laufen lassen; ganz gleich, ob Du mich liebst oder nicht. Ja, es steht Dir frei, meine Liebe anzunehmen oder auszuschlagen, es ändert nichts daran, dass ich dem Tod dann entgegenlächle und ihm sage: Na und? Ich kannte Laurine. Ich sah sie gehen, ich sah sie lachen, ich sah sie tanzen und hörte ihre Stimme.«
    Diesen faltete er besonders sorgfältig.
    Das war der letzte der dreiundsiebzig Liebesbriefe an Laurine.
    Dreiundsiebzig weiße Schiffchen und
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