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Die Merle-Trilogie 01 - Die Fließende Königin

Die Merle-Trilogie 01 - Die Fließende Königin

Titel: Die Merle-Trilogie 01 - Die Fließende Königin
Autoren: Kai Meyer
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dann stieg er in das Boot. »Womöglich sollte ich das tun.« Er ging an Serafin vorbei, schleuderte den Goldbeutel achtlos auf die Planken und ergriff das Ruder. Mit müden Stößen manövrierte er das Boot den Wasserweg entlang Richtung offene See.
    Serafin setzte sich zwischen die leeren Aufhängungen der Spiegel. Kleine, nasse Fußabdrücke bedeckten das Holz.
    »Werdet Ihr es tun? Junipa ausliefern, meine ich?«
    »Es ist der einzige Weg. Es geht um viel mehr als um mein Leben.« Er schüttelte bedrückt den Kopf. »Der einzige Weg«, wiederholte er tonlos.
    »Was wollt Ihr Junipa sagen? Die Wahrheit?«
    »Dass sie eine Auserwählte ist und es schon immer war. Genau wie Merle - und doch auf ganz andere Weise.«
    Serafin holte tief Luft. »Ihr habt wahrlich eine Menge zu erzählen, Spiegelmeister.«
    Arcimboldo hielt seinem Blick ein paar Sekunden länger stand, dann schaute er hinaus auf die Lagune, weit darüber hinweg, weiter noch als die Landschaft, weiter als diese Welt.
    Eine Möwe setzte sich neben Serafin auf die Reling und sah ihn aus dunklen Augen an.
    »Es ist kühl geworden«, sagte der Spiegelmacher leise.
    Irgendwann fiel Merle der Spiegel wieder ein. Der Spiegel in der Tasche ihres Kleides. Während sie sich mit einer Hand an der Mähne festhielt, zog sie ihn mit der anderen hervor. Er hatte die Flucht aus Venedig unbeschadet überstanden. Die Spiegelfläche aus Wasser blitzte silbrig im Vormittagslicht und schwappte leicht hin und her, ohne dass ein einziger Tropfen aus dem Rahmen lief. Einmal zuckte ein nebliges Flirren darüber hinweg, nur kurz, dann war es wieder fort. Der Schemen. Vielleicht ein Wesen aus einer anderen Welt, einem anderen Venedig.
    Wie sah es da wohl aus? Fürchteten die Menschen dort das Pharaonenreich ebenso wie die Bewohner dieser Welt? Zogen auch dort die Sonnenbarken ihre Bahnen am Himmel wie hungrige Raubvögel? Und gab es auch dort eine Merle, einen Serafin und eine Fließende Königin?
    » Vielleicht «, sagte die vertraute Stimme in ihrem Kopf.
    »Wer weiß?«
    »Wer, wenn nicht du selbst?«
    »Ich bin nur die Lagune.« »Du weißt so vieles.«
    »Und doch besitze ich kein Wissen, das über die Grenzen dieser Welt hinausreicht.«
    »Ist das wahr?«
    »Gewiss.«
    Vermithrax meldete sich zu Wort. Seine dröhnende Stimme übertönte das Rauschen seiner Flügelschläge. »Sprichst du mit ihr? Mit der Königin?«
    »Ja.«
    »Was sagt sie?«
    »Dass du der tapferste Löwe bist, den die Welt je gesehen hat.«
    Vermithrax schnurrte wie ein Hauskater. »Das ist mächtig nett von ihr. Aber du musst mir nicht schmeicheln, Merle. Ich schulde dir meine Freiheit.«
    »Du schuldest mir gar nichts«, seufzte sie, plötzlich niedergeschlagen. »Ohne dich wäre ich vielleicht tot.«
    Sie steckte den Wasserspiegel zurück in ihr Kleid und verschloss sorgsam den Knopf der Tasche. Ein Stück einer anderen Welt, dachte sie benommen. So nah bei mir. Vielleicht hatte Serafin tatsächlich Recht mit dem, was er über die Spiegelbilder auf den Kanälen gesagt hatte.
    Armer Serafin. Was wohl aus ihm geworden war?
    »Da vorne!«, rief Vermithrax. »Links von uns, im Süden!«
    Sie hatten alle drei gewusst, dass der Augenblick kommen würde, in dem sie der Streitmacht des Pharaos gegenüberständen. Aber es war so viel geschehen, seit sie den Campanile verlassen hatten. Der Schrecken des Belagerungsrings war für Merle fern und diffus geworden.
    Jetzt aber war es so weit. In wenigen Minuten würden sie den Ring überfliegen. Noch war er nur eine verschwommene Linie am Horizont, doch er rückte näher und näher.
    »Ich werde in große Höhen steigen müssen«, erklärte Vermithrax. »Die Luft wird dünner werden, also erschrick nicht, wenn dir das Atmen ein wenig schwer fällt.«
    »Ich werde nicht erschrecken.« Merle versuchte, ihrer Stimme einen festen Klang zu geben.
    Die riesigen Obsidianschwingen des Löwen trugen sie höher und höher hinauf, bis das Meer unter ihnen zu einer gleichförmigen Fläche wurde, ohne Wellen, ohne Strömungen.
    Weit vor sich sah Merle die Kriegsgaleeren des Pharaos, winzig wie Spielzeug. Die Entfernung konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Schiffe über genug Zerstörungskraft verfügten, um es mühelos binnen Stunden mit der unzulänglichen Flotte der Venezianer aufzunehmen. Die gleichen Schiffe hatten damals - zu Beginn des großen Mumienkrieges - die ersten Skarabäenschwärme in aller Herren Ländern ausgesetzt. Die daumengroßen Fressmaschinen aus
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