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Die Merle-Trilogie 01 - Die Fließende Königin

Die Merle-Trilogie 01 - Die Fließende Königin

Titel: Die Merle-Trilogie 01 - Die Fließende Königin
Autoren: Kai Meyer
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demutsvollen Gruß.
    Ein spindeldürres Wesen kroch auf langen Beinen aus dem Loch. Es war annähernd menschlich, doch seine Gelenke schienen in falschen Winkeln abzuknicken, was ihm ein verschobenes, krankhaftes Äußeres gab. Es bewegte sich auf allen vieren - und mit dem Bauch nach oben, wie ein Kind, das eine Brücke bildet. Dadurch stand sein Gesicht auf dem Kopf. Die Kreatur war kahlköpfig und blind. Ein Kranz aus eisernen Dornenranken lag eng um die Augenpartie wie eine Binde. Eine einzelne Stachelschlinge hatte sich gelöst und verlief quer über das Gesicht des Wesens, geradewegs über den zahnlosen Mund hinweg. Wo die Dornen die Lippen berührten, hatten sich breite Narbenwülste gebildet.
    »Spiegelmacher«, zischelte das Wesen namens Talamar und wiederholte Arcimboldos Worte: »Dem Wunsch ist entsprochen, der Zauber gewirkt, der Pakt erfüllt. Dem Dunkel zu Diensten immerdar.« Dabei warf es einen Beutel mit klirrenden Münzen in den Kreis zu Arcimboldos Füßen.
    »Dem Dunkel zu Diensten immerdar«, sagte auch der Spiegelmacher. Damit war dem Begrüßungszeremoniell Genüge getan. »Ich bringe die Lieferung. Dreizehn Spiegel nach Wunsch deines Meisters.«
    »Der auch der deine ist, Spiegelmacher.« Trotz der undeutlichen Aussprache klang der Tonfall des Wesens lauernd. Talamar drehte sich mit einer komplizierten Bewegung seiner verwinkelten Glieder, bis sein Schädel über dem Rand der Öffnung baumelte. Er stieß einen Reihe schriller Laute aus. In Windeseile quoll eine Schar schwarzer Wesen aus dem Schwefelschacht, keines größer als ein Affenkind. Sie waren blind wie Talamar selbst, ihre Augenhöhlen ausgeschält. Wuselnd liefen sie davon. Bald darauf hörte Serafin sie am Boot hantieren.
    »Es gibt schlechte Neuigkeiten«, sagte Arcimboldo, ohne aus dem Kreis zu treten. »Die Fließende Königin hat die Lagune verlassen. Das Wasser hat seine Macht verloren. Ich werde keine Spiegel mehr herstellen können, bis sie zurückkehrt.«
    »Keine Spiegel?«, kreischte Talamar und wedelte mit einem seiner dürren Arme. »Was faselst du da, alter Mann?«
    Arcimboldo blieb ruhig. Mit keinem Zucken verriet er Furcht oder Unruhe. »Du hast mich verstanden, Talamar. Ohne die Fließende Königin im Wasser der Lagune kann ich keine magischen Spiegel herstellen. Der wichtigste Bestandteil fehlt. Das bedeutet, keine Lieferungen mehr.« Er seufzte, seine erste Gefühlsregung im Angesicht der Kreatur. »Vermutlich spielt das ohnehin keine Rolle mehr, wenn das Imperium die Stadt in Besitz nimmt.«
    »Die Meister haben euch Hilfe angeboten«, zischelte Talamar. »Ihr habt unseren Boten getötet und unsere Unterstützung ausgeschlagen. Die Verantwortung für dieses Tun tragt ihr selbst.«
    »Nicht wir. Nur jene, die über uns herrschen.« Arcimboldos Ton wurde abfällig. »Diese verdammten Ratsherren.«
    »Ratsherren! Schnickschnack! Alles Unsinn!« Talamar gestikulierte wild. Die Bewegungen ließen ihn noch fremder, noch erschreckender erscheinen; nach wie vor stand er kopfüber auf allen vieren. Jetzt erst bemerkte Serafin, dass das Herz der Kreatur in einem Glaskästchen schlug, das mit Riemen auf ihrem Bauch befestigt war - ein knotiger, schwarzer Muskel, wie ein pulsierender Haufen Exkremente. »Schnickschnack! Schnickschnack!«, tobte er weiter. »Spiegel müssen her, mehr Spiegel, mehr Spiegel! So wünscht es mein Meister.«
    Arcimboldo runzelte die Stirn. »Sag ihm, dass ich gerne Geschäfte mit ihm mache. Lord Licht war immer ein guter Kunde.« Er sagte es mit einem zynischen Unterton, den Serafin sehr wohl verstand, Talamar aber gar nicht beachtete. »Doch solange die Fließende Königin fort ist, kann ich keine Spiegel herstellen. Außerdem werden die Ägypter meine Werkstatt schließen - vorausgesetzt, sie lassen überhaupt einen Stein auf dem anderen.«
    Talamar war noch immer bis aufs Äußerste erregt. »Das wird ihm nicht gefallen. Wird ihm gar nicht gefallen.«
    »Fürchtest du etwa den Zorn deines Meisters, Talamar?«
    »Schnickschnack, Schnickschnack! Talamar fürchtet nichts. Aber du solltest ihn fürchten, Spiegelmacher! Solltest Talamar fürchten! Und die Wut Lord Lichts!«
    »Ich kann nichts daran ändern. Ich habe Geschäfte mit euch gemacht, damit die Werkstatt überlebt. Ohne euer Gold hätte ich sie längst schließen müssen. Und was wäre dann mit den Kindern geschehen?« Der alte Mann schüttelte betrübt den Kopf. »Das konnte ich nicht zulassen.«
    »Kinder, Kinder, Kinder!« Talamar winkte
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