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Die Meisterin der schwarzen Kunst

Die Meisterin der schwarzen Kunst

Titel: Die Meisterin der schwarzen Kunst
Autoren: Guido Dieckmann
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Mensch Geheimnisse? Ihre Pflegeeltern verschwiegen den Gemeindeältesten, wie viel Geld sie verdienten. Der älteste Sohn des Schneiders verschwieg seinen Eltern, dass er heimlich die Tochter des Pfarrers liebte, obwohl ihn sein Vater zu Pfingsten mit einem Mädchen aus dem Nachbardorf verlobt hatte. Auch Elisabeth hatte ihre Geheimnisse. Sie hatte ein Recht darauf, selbst wenn der Pfarrer und die Ältesten das vielleicht anders sahen.
    «Geheimnisse können gefährlich sein», fuhr Elisabeth fort,
    «denn das Unbekannte flößt Angst ein. Daher sind unsere Nachbarn misstrauisch gegen alle, die sie nicht durchschauen. Aber du bist ein so liebenswertes Geschöpf, eines Tages werden das alle einsehen.»
    Henrika stieß die Luft aus. Die Worte ihrer Tante waren gut gemeint, räumten ihre Zweifel aber nicht aus. Verlangte man von ihr, sich in ihr Schicksal zu fügen und ihre verstorbene Mutter zu verleugnen, dann würde sich an ihrem schlechten Verhältnis zur Dorfbevölkerung vermutlich nie etwas ändern. Dieser Preis war eindeutig zu hoch. Sie hatte nicht vor, den Ältesten Demut und Verständnis vorzuheucheln, während sie grundlos gemaßregelt und erniedrigt wurde. Dass dies wiederum den Argwohn der Leute weckte, die nur darauf warteten, dass sie einen Fehler machte, war ihr ebenfalls klar, doch was würden sie mit ihr tun, wenn sie eines Tages entschieden, nun lange genug gewartet zu haben?
    Henrika tauchte den Krug ein letztes Mal in den Stein und trocknete ihn so lange, bis er glänzte.
    «Ich hatte immer das Gefühl, nicht hierherzugehören», bekannte sie nach einigem Nachdenken.
    «Daran sind nur die Launen meiner törichten Schwester schuld», murmelte Elisabeth kopfschüttelnd. Es klang verbittert. «Wäre sie nicht so dumm gewesen, den Ältesten reinen Wein einzuschenken, könntet ihr hier alle in Ruhe miteinander leben.»
    «Aber sie war doch verpflichtet, sich der Kirche anzuvertrauen», versuchte Henrika ihre Pflegemutter zu verteidigen. Obwohl sie stets unter Agatha Hahns harter Hand gelitten hatte, mochte sie es nicht, dass andere schlecht über sie redeten. «Hätte Mutter den Herrn Pfarrer und die Ältesten etwa anlügen sollen?»
    «Mir wäre schon eine Ausrede eingefallen, die mir nicht den Schlaf geraubt hätte. Weißt du überhaupt, warum sie geplaudert hat?»
    Henrika runzelte die Stirn. «Nun, ich nehme an, sie hatte Angst um ihr Seelenheil. Heißt es nicht, dass Gott uns bereits in diesem Leben zeigt, wer errettet wird und wer zu den Verworfenen gehört? Oder habe ich das falsch verstanden?»
    «Calvin vertrat diese Auffassung», gab Elisabeth zu. «Für die Lutheraner und die Katholiken gelten andere Regeln. Frag mich nicht, welche. Ich bin nur eine einfache Schankwirtin und hab genug damit zu tun, während der Predigt nicht einzuschlafen. Meine Schwester hat sich immer dafür geschämt, dass ich nach dem Tod unseres Vaters einen Wirt geheiratet habe.»
    «Aber das ist doch nicht verboten.»
    Elisabeth hob resigniert die Hand. «Nein, verboten ist es natürlich nicht. Das Schankprivileg wurde im vergangenen Jahr von der kurfürstlichen Kanzlei erneuert. Aber Agatha sieht es nun einmal nicht gern, dass ihre Schwester für durstige Männer Bier zapft.»
    Natürlich wusste Henrika, was ihre Ziehmutter von Elisabeths Gewerbe hielt. Umso mehr wunderte es sie auch, dass Agatha ihr erlaubte, der Wirtin zur Hand zu gehen. Es schien ein stilles Einvernehmen zwischen den beiden Frauen zu geben, von dem sie nichts wusste. Geheimnisse.
    «Soviel ich weiß, haben die Hahns heute Abend Besuch von den Ältesten der Gemeinde», sagte Elisabeth. «Vielleicht suchen sie einen Mann für dich.»
    Henrika ließ den Krug sinken und schaute ihre Tante bestürzt an. Es war das erste Mal, dass sie von einem solchen Ansinnen hörte.
    «Vater Hahn will mich verheiraten?», platzte es aus ihr heraus. «An einen Mann aus dem Dorf? Eher friert der Rhein im Juli zu, als dass er mit einem der Bauern handelseinig wird.»
    «Mag sein. Aber was ist, wenn seine Wahl gar nicht auf einen Mann aus dem Dorf fällt? Überlege doch einmal, Mädchen. Wenn dich jemand von hier wegbrächte, könntest du einen eigenen Hausstand gründen, eine eigene Familie. Träumst du nicht manchmal davon, deine enge Kammer hinter der Werkstatt zu verlassen?» Elisabeth stand schwerfällig auf und strich die Decke, auf der sie gesessen war, glatt. «Mich wundert nur, dass sich die Hahns mit der Suche nach einem Mann für dich so viel Zeit gelassen
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