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Die Meisterin der schwarzen Kunst

Die Meisterin der schwarzen Kunst

Titel: Die Meisterin der schwarzen Kunst
Autoren: Guido Dieckmann
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Dekolleté. «Du hast mich vor meinen Freunden absichtlich bloßgestellt. Vielleicht überlegst du dir schon mal, wie du das wiedergutmachst?»
    Henrika erbleichte. Der Flickschuster mit seiner bläulichen, von allerlei Narben zerfurchten Haut und den kalten Augen war ihr zuwider. Als gewalttätig war er nicht bekannt, doch gehörte er zu den Männern, die anderen durch Hinterlist schaden konnten. Henrika überlegte, ob sie nicht einen Fehler gemacht hatte, sich den Zorn des Schuhmachers zuzuziehen. Vielleicht wäre es besser gewesen, sein Schimpfen einfach zu überhören. Die Hahns hatten nie etwas mit Bunter zu tun gehabt, denn sein Lebenswandel war Agatha ein Dorn im Auge. Hartnäckig ging das Gerücht, dass Bunter zuweilen heimlich in seiner Werkstatt Branntwein trinke und danach zu betrunken sei, um seinen Aufträgen nachzukommen.
    «Ich hoffe, du hast nicht die Absicht, Ärger zu machen, Wilhelm Bunter», war plötzlich Elisabeths Stimme zu vernehmen. Die Wirtin verschränkte die Arme und warf den Gästen, die unbeweglich am Tisch saßen, einen strengen Blick zu. Murrend erhoben sich die Männer, stülpten ihre Mützen auf und trotteten zum Ausgang. Wilhelm Bunter funkelte Elisabeth ärgerlich an. «Keine Angst, Frau Wirtin, ich werde dafür sorgen, dass dir und deiner kleinen Schankmagd so bald kein Gast mehr Ärger machen wird.»
    «Danke, aber auf die Hilfe eines versoffenen Tagediebs pfeife ich. Sieh lieber zu, dass du mein Haus verlässt, sonst melde ich dich dem Schankwächter, sobald er das nächste Mal erscheint!»

    «Ich vergraule deine letzten Gäste», sagte Henrika, als alle gegangen waren.
    Nach dem Schrecken, den ihr der Schuster eingejagt hatte, war ihr nicht danach, schon nach Hause zu gehen. Stattdessen goss sie mit flinken Bewegungen Wasser in den Spülstein, tauchte schmutzige Becher und Krüge hinein und begann sie so heftig mit der Bürste zu bearbeiten, als hätte ein Dutzend Pestkranker aus ihnen getrunken.
    «Nicht so wild, Kind», mahnte die Wirtin. «Ich hab nichts von deiner Hilfe, wenn mein gutes Geschirr nur noch aus Scherben besteht.»
    Henrika legte die Bürste aus der Hand und sah ihre Tante an. Sie machte sich wirklich Sorgen.
    «Dieser Bunter ist im Dorf zwar nicht sonderlich beliebt, aber wie die Dinge stehen, bin ich es noch weniger. Wenn er seine Drohung wahr macht und die Leute gegen dich aufhetzt, könntest du viel verlieren. Denk an die Schulden, die du machen musstest, um die Weinvorräte aufzustocken.»
    Elisabeth winkte ab; sie wollte nichts davon hören. Sie hatte es sich in einem mit Fellen ausgeschlagenen Lehnstuhl gemütlich gemacht und beobachtete versonnen, wie der Widerschein der tanzenden Flammen im Kamin das helle Zinngeschirr zum Funkeln brachte. «Unsinn, mein Kind», sagte sie. «Du glaubst immer, im Dorf würden dich alle mit schiefen Blicken verfolgen, aber ich kenne dich nun schon so viele Jahre und finde, dass dich nichts von den Mädchen deines Alters unterscheidet. Du bist hübsch und klug. Aber immer dann, wenn du es am wenigsten gebrauchen kannst, regt sich in deinem Körper ein Ungeheuer, das dir einredet, du seiest zu hässlich und zu plump, um anderen zu gefallen. Zu hoffärtig, um für fromm zu gelten, und so eigenartig, dass jeder einen großen Bogen um dich macht.»
    «Aber die meisten unserer Nachbarn machen doch einen Bogen um mich. Sie finden mich eigenartig, seit ich hierherkam. Und was soll ich davon halten, dass mich der Pfarrer auf die letzte Bank in der Kirche verbannt hat?» An ihrem siebzehnten Geburtstag hatte man Henrika auf eine rot angestrichene Kirchenbank gesetzt, die eigentlich für ausgewiesene Trunkenbolde und fahrendes Volk angefertigt worden war. Weder ihr Protest noch Hahns Spende für den Klingelbeutel hatten daran etwas ändern können. Am liebsten wäre Henrika gar nicht mehr zur Kirche gegangen, doch auch das war verboten und wurde streng bestraft.
    «Weißt du, unser Dorf wird seit Generationen von einer Schar einfacher Menschen bewohnt, die morgens mit den ersten Sonnenstrahlen aufstehen und mit den Hühnern schlafen gehen. Das einzige Vergnügen, das sie sich gönnen, ist der Jahrmarkt zu Michaelis und ein Schluck Bier im Wirtshaus. Das heißt, sie taten es, bevor … Nun, das ist eine andere Geschichte. Was die Bauern hier allerdings ebenso hassen wie die schwarzen Blattern sind … Geheimnisse.»
    Henrika hob erstaunt die Augenbrauen. Sie verstand nicht recht, was ihre Tante damit meinte. Hatte nicht jeder
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