Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Maya-Midgard-Mission

Die Maya-Midgard-Mission

Titel: Die Maya-Midgard-Mission
Autoren: Bernd Sieberichs
Vom Netzwerk:
zudem verdorrten Felder versorgen. Und jetzt kam auch noch der Bau der sacbé , der weißen Straße, die die Hauptstädte miteinander verbinden sollte, hinzu.
    Mit düsterem Blick schaute Kabyum Kin auf die Rauchwolke über den Baumwipfeln im Westen, die man in der Dunkelheit nur erahnen konnte. Zu riechen war sie Tag und Nacht. Die Wolke, die sich wie ein schwarzes Tuch über den gerade erst wieder ergrünten R egenwald legte, kündete von Tod. Das frische Grün nach langer Dürre, das yax des Urwalds, war zu einem klebrigen Aschgrau verkommen. Es war die Zeit der Brandrodung: die Trockenzeit. Die Priesterherrscher waren der Meinung, dass Traditionen gewahrt werden mussten, allen Unbilden des Wetters zum Trotz. Und so wurde auch in diesem Jahr wider alle Vernunft der Wald gerodet. Die Feuchtigkeit der Wälder, die sich hierzulande ohnehin nicht mit der des südlichen Tieflands messen konnte, verdampfte. In normalen Zeiten brannten nur die Bauern ihre Felder in den Wald hinein. Doch auf Geheiß des neuen Herrschers kamen die Sklaven und die dienstverpflichteten Arbeiter und Baumeister als Brandstifter im großen Stil dazu. Auf königlichen Befehl brannten sie eine ganze Straße von Cobá über Toxtlipan bis nach Yaxuná in den Wald. Ungeachtet der Dürre. Dann war der Regen zurückgekehrt und hatte die bereits viele Tagesmärsche lange, schnurgerade Spur des Flammentodes mit seinen unerwarteten Fluten in einen qualmenden Höllenfluss verwandelt. Aber auch Millionen Tropfen konnten das Feuer nicht löschen. Die Bäume am Rande des schwelenden Bandes trugen schmierige Ascheschleier. Die Böden unter dem Feuer würden binnen zehn kin nach Ende des Regens trocken und rissig sein wie in den Jahren zuvor. Zusätzlich würden Tonnen von Muschelkalk aufgeschüttet und festgestampft werden. Kabyum Kin wusste, was das ehrgeizige Bauvorhaben bedeutete: Die Armeen könnten marschieren, ohne in den wieder gefüllten Sümpfen des nördlichen Tieflands stecken zu bleiben. Große Entfernungen wären in kurzer Zeit und mühelos zu bewältigen. Große Mengen an Nachschub könnten leichter über eine Straße als durch den Dschungel herangeschafft werden. Früher hatten die Bauern den Boden für die neue Saat bereitet, heute wurde Tod gesät.
    Für Kabyum Kin war das ein Kreislauf, dessen Sinn er mit gesundem Geist nicht länger begreifen konnte. Mit dem drohenden Aussterben seiner Familie waren seine Zweifel hinsichtlich vermeintlich natürl icher Kreisläufe gewuchert wie ein junger Kakaobusch zu Beginn der Regenzeit.
    " Was nützt es mir", dachte Kabyum Kin und missachtete den dünnen Nieselregen ebenso wie den beißenden Gestank verbrannten Holzes, "was nützt es mir, nach verlustreichem Feldzug die Könige von Ikil oder Tacah als Sieges-Trophäe zu opfern, wenn ich daheim versäumt habe, meine Äcker mit Mais zu bestellen oder meinen Söhnen zu zeigen, wie man Kleidung aus Baumwolle und Sisal fertigt, Urwald rodet, Arzneien mischt, Wasserspeicher baut, überlebt?" Die Kunst des Häuserbaus gab den Menschen trockene Hängematten, trockene Kleider, eine trockene Bleibe. Es war die Kunstfertigkeit des Baumeisters, die den Menschen Obhut verschaffte, nicht die des Regengotts. Handwerliches Geschick und ein nie versiegendes Herdfeuer – das waren die Geheimnisse der Trockenheit. Und auch kein noch so geschickter Baumgott konnte ein derart dichtes Dach mit den Blättern seiner Bäume bilden, wie Kabyum Kin es aus Holz, Stein, Erde und Muschelkalk zu bauen verstand. Sicher, die Götter waren die Seele aller Dinge. Aber durfte sich die Seele gegen den Körper wenden? Und gegen den Geist? Bestimmte der Körper alles Handeln? Oder die Götter?
    Sein Handwerk hatte Kabyum Kin in seiner Heimatstadt, Tikal, e rlernt. In Toxtlipan war er schnell zum ersten Baumeister aufgestiegen, hatte eine gute Frau gefunden, eine Familie gegründet, Freunde gewonnen, neue Wurzeln geschlagen. Die Güte seiner Arbeit hatte sich herumgesprochen. Und sein Ruhm hatte ihn bis in die benachbarten Hauptstädte von Yaxuná und Cobá geführt. Kabyum Kin war ein Meister seines Fachs. Er baute Steinhäuser auf dem schmalsten Grat; und er baute sie so, dass auch die Kinder und Kindeskinder einer Familie ihre Kinder trocken zur Welt bringen konnten. In gewöhnlichen Zeiten war Trockenheit im bergigen Regenwald wie im Dschungel des Tieflandes eben ein höchst erstrebenswerter Zustand. Für die pfiffigen Entwässerungsanlagen am Haus war Kabyum Kin genauso berühmt wie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher