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Die Masken der Wahrheit

Die Masken der Wahrheit

Titel: Die Masken der Wahrheit
Autoren: Barry Unsworth
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einen raschen Blick zur Seite. »Nicht mehr als ein spontaner Antrieb.« Sein Blick schweifte über die kostbaren Wandbehänge, das hell lodernde Feuer, den schweigenden und aufmerksamen Schreiber. »So etwas hat Thomas niemals getan. Nicht wahr, Thomas?«
       »Nein, Euer Ehren.«
       »Thomas wird eines Tages im Oberhofgericht sitzen.« Er blickte wieder mich an. »Auch ich habe so etwas wie Ihr niemals getan. Ich habe nur für eine einzige Rolle studiert und gearbeitet. Wäre ein solches Verlangen über mich gekommen, so hätte ich’s als Krankheit genommen. «
       Er verstummte, und für einige Zeit gab es im Zimmer kein Geräusch außer dem Wispern des Feuers. Dann rührte er sich, als würde er aus dem Schlaf erwachen. »Thomas und ich haben noch eine private Angelegenheit zu regeln«, sagte er. »Deshalb bitte ich Euch, für kurze Zeit draußen zu warten. Dann werden wir gemeinsam eine kleine Reise unternehmen. Zunächst aber möchte ich Euch etwas über des Königs Gerichtsbarkeit sagen, obwohl ich kaum darauf hoffe, dadurch Eure Einfalt zu mindern. Seit einem Dutzend Jahren oder mehr, seit ich zu den engeren Beratern des Königs zähle, hat dieser halsstarrige de Guise uns Ärger bereitet. Er hat weit mehr Männer unter Waffen, als erforderlich wären, und sie sind widerspenstig und aufsässig und eine Bedrohung für den Frieden im Königreich. Die Abgaben der Untertanen, die von Rechts wegen dem König zustehen, benutzt der Baron für die Besoldung seiner Mannen. Er tut sich mit anderen zusammen, um das Vorrecht der Edelleute aufrechtzuerhalten, als Angehörige des Oberhauses über andere Edelleute zu urteilen, wodurch dieser Mann dem König das Recht der Aberkennung von Amt und Würden verwehrt. Er nimmt das Gesetz in die eigenen Hände. Einzig Beauftragte des Königs sind befugt, in den Grafschaften Fälle von Schwerverbrechen zu verhandeln, und alles Gut und Geld, das bei Strafen und Enteignungen anfällt, steht dem königlichen Schatzamt zu. Dieser Baron jedoch maßt sich an, diese Befugnisse dem Gericht seines Sheriffs zu übertragen, und alles Geld wandert in seine eigenen Truhen.«
       Mit zusammengepreßten Lippen hielt er inne. »Versteht Ihr nun?« sagte er. »Bei einem solchen Mann bleibt nur das Mittel der Gewalt. Aber dies ist nicht die rechte Zeit, Gewalt anzuwenden, da man nicht wissen kann, wem die Treue und Ergebenheit des Volkes in dieser Gegend gehört, und weil sich immer jemand findet, der lauthals ›Tyrannei‹ schreit. Doch ich hab’ schon lange ein Auge auf diesen edlen Herrn gehalten, und einer aus seiner Gefolgschaft hat mir ständig berichtet. Dann, vor einem Jahr, hörten wir zum erstenmal Geschichten von verschwundenen Kindern – jene, die Ihr bereits kennt. Doch es gab noch weitere. Kinder, die in der Stadt herumstreunten, und elternlose Kinder, die zum Burgtor kamen, um zu betteln. Und immer waren’s Knaben. Und nun gab es den Fall des Thomas Wells, dessen Leichnam man fand, und somit endlich eine Spur, die zum Hause des Herrn de Guise führte.«
       Er verstummte lächelnd und hielt seine weißen Hände zum Feuer, als würde er noch immer die wunderbare Wärme genießen, die ihm sein Wissen und die Möglichkeiten bereiteten, die sich daraus ergaben, und die Edelsteine an seinen Fingern funkelten im Licht der Flammen. »Ich habe diesen Fall sehr sorgfältig studiert«, sagte er. »Und nun weiß ich die Wahrheit.«
       »Und nun werdet Ihr den Baron zur Rechenschaft ziehen und gleichzeitig der Sache des Königs dienen.«
       Er schüttelte den Kopf und lächelte wieder. »Ich sehe schon, daß man Euch die falschen Bücher zum Kopieren gab«, sagte er. »Ja, glaubt Ihr denn, der Baron de Guise ließe sich so mir nichts, dir nichts den Prozeß machen? Die Mächtigen zur Rechenschaft zu ziehen ist nicht so leicht wie bei denen, die sich nicht verteidigen können. Der Ruhm und der Ruf seines Hauses liegen dem Baron am meisten am Herzen. Wir haben Glück, was die Natur des Verbrechens betrifft.«
       »Glück? Das würde Thomas Wells wohl nicht sagen, wenn er noch eine Stimme hätte.«
       Das Lächeln verschwand, und die Augen in dem vollen Gesicht wurden schmal, als er mich nun anschaute; und ich erkannte, was es bedeutete, einem Mann wie diesem ein Hindernis im Weg zu sein. »Auf Dinge, die man nicht ändern kann, verschwenden wir keine Zeit; es sei denn, wir können sie uns zunutze machen«, sagte er. »Es ist Zeit, daß Ihr das lernt, Nicholas Barber. Die
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