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Die Masken der Wahrheit

Die Masken der Wahrheit

Titel: Die Masken der Wahrheit
Autoren: Barry Unsworth
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Stück angeschaut hatte. In der Maske der Superbia hatte Martin ihn verspottet und versucht, ihn in das Stück von Thomas Wells mit einzubeziehen. Doch diese schriftliche Botschaft, die ich nicht gelesen hatte und niemals lesen würde, hatte dem Baron eine Rolle in einem anderen Stück aufgezwungen: jenem anderen Schauspiel, in dem der Richter mitwirkte und auch der König – ein viel größeres Schauspiel, in dem das Leiden der Unschuldigen ohne Bedeutung war, außer vielleicht als Pfand, einen Handel damit zu machen. Und während der Schlaf meine Lider schwer werden ließ, fragte ich mich, ob es da nicht ein noch größeres Schauspiel gab, in dem sich Könige und Kaiser und Päpste im Mittelpunkt der Welt wähnten, während sie in Wirklichkeit nur Randfiguren waren …

Kapitel sechzehn 
    ch wurde von einer Stimme geweckt, die von der Tür des Schuppens erklang. Auch Margaret schreckte auf, doch ich erhob mich und ging rasch hinaus, bevor sie gänzlich erwachte. Auf dem Hof waren ein Dutzend Männer versammelt, von denen einige Kettenhemden trugen und bewaffnet waren. In ihrer Mitte befand sich der Richter mit einer Gruppe von Männern, die Kapuzen trugen; unter ihnen erkannte ich den Schreiber an seinen hohlen Wangen. Die Männer waren zu Pferde, doch es gab noch andere mit Maultieren, von denen bei zweien Spaten und zusammengerollte Seile an den Sätteln befestigt waren. Als ich dies sah, dämmerte mir, wohin die Reise gehen sollte. Doch Zeit zu fragen blieb mir nicht: Ein gesatteltes Maultier stand für mich bereit, und ich saß auf.
       Der Mond stand jetzt hoch und zog seine Bahn an einem klaren Himmel, und als wir durch die Stadt ritten, war es hell genug, daß die Fackeln, die einige Männer bei sich trugen, nicht angezündet zu werden brauchten. Wir nahmen die Straße, die hinauf zur Kirche führte, wobei wir nun nicht mehr so eng zusammen ritten; die Männer auf den Pferden trabten voran, während wir auf unseren Maultieren langsamer folgten. Zu beiden Seiten befand sich offenes Gelände. In den Mulden, an den niedrigen Hängen sowie an den Steinmauern, die sich darüber hinzogen, hatte der Wind Schnee aufgeweht, der mitunter so hoch lag, daß er Formen bildete, die im blassen Mondlicht wie unvollkommene Gestalten aussahen, Umrisse von Tieren und Menschen, noch unfertig, mit plumpen Köpfen und Gliedern und Falten an jenen Stellen, an denen sich dereinst Augen befinden mochten, und auch die Grübchen und Falten warteten noch darauf, herausgebildet zu werden. Endlich wurde der Schnee weicher; die Hufe der Pferde an der Spitze ließen weißen Staub aufstieben, der bis zu ihren Knien hochwölkte.
       Mondlicht versilberte das Gras des Kirchhofs und glitzerte auf dem Schnee, der Brendans Grab bedeckte, das erst vor so kurzer Zeit ausgehoben worden war, doch jetzt schon in eine ferne Zeit zu gehören schien. Das geteerte Kreuz des Jungen stand noch an Ort und Stelle und bezeichnete die kleine Grabstätte, wo sein Leichnam lag; und hier begannen die Männer zu graben, wobei sie zuerst eine langstielige Spitzhacke benutzten, da der Boden unter dem Schnee noch immer hart gefroren war. Nun wurden auch die Fackeln angezündet, und das rötliche Licht des brennenden Hanfs verschlang den Mondschein, so daß außerhalb der Flammen nichts als Dunkelheit war.
       Ich stand im Kreis des Fackellichts, ganz am Rand, und schaute zu. Die Erde unter der gefrorenen Oberfläche war noch immer ziemlich locker und bot keinen Widerstand. Der Richter tauschte mit einem der Kapuzenmänner, der dicht bei ihm stand, einige gemurmelte Worte. Danach gab es nur noch das Warten und das Fackellicht und keinen Laut außer dem Kratzen der Spaten und dem leisen Rauschen des fortgeschaufelten Erdreichs.
       Dann erklang plötzlich das Geräusch von Metall auf Holz, und ein Mann stieg mit Tauen in den Händen in die schmale Grube hinunter. Der Sarg wurde in die Höhe gezogen und dicht neben dem Grab abgesetzt, und derselbe Mann sprengte den Sargdeckel auf.
       Meine Eindrücke von dem, was nun folgte, waren verworren, und so sind sie mir auch im Gedächtnis geblieben. Die Männer, die gegraben hatten, wichen zurück. Zwei von denen, die beim Richter gestanden hatten, traten nun nach vorn, begleitet von einem dritten Mann mit einer Fackel. Als jetzt das Licht auf sie fiel, sah ich, daß die beiden Männer Masken aus irgendeinem dunklen Stoff über der unteren Gesichtshälfte trugen, so daß Nase und Mund bedeckt waren. Und als sie
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