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Die Marketenderin

Die Marketenderin

Titel: Die Marketenderin
Autoren: Martina Kempff
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Johannes Gerter gerade seinem Pferd die Sporen gab und heilfroh war, Stuttgart hinter sich zu lassen. Manche Frauen sind schon sehr lästig, dachte er, vielleicht hätte er diese Barbara gar nicht besuchen sollen. Noch unangenehmer als ihre Tränen hatten ihn ihre Abschiedsworte berührt: »Ich werde auf dich warten!«
    Mit Mühe hatte er ein ›Teures Weib, gebiete deinen Tränen!‹ unterdrückt. Sie hätte wahrscheinlich nur die Worte ›teures Weib‹ gehört, sich als verlobt betrachtet und ihm dankbar die Hände geküßt. Den Dank, Dame, begehr ich nicht. Warum mußten die Frauen auch immer so drängen? Er hatte Barbara nicht den Hof gemacht, sie hatte sich ihm, wie so manches hübsche Ding vor ihr, an den Hals geworfen, und jetzt träumte sie davon, daß er mit ihr vor den Altar treten würde. Nur weil er sie nicht zurückgewiesen hatte!
    Auch wenn er die Dreißig schon überschritten hatte, war er noch lange nicht bereit, sich fest zu binden. Der Gedanke, immer wieder an einen Ort, zu einer Frau zurückkehren zu müssen, war ihm unerträglich. Ein freies Leben führen wir, ich habe genossen, gelebt und geliebt – wieder ertappte er sich dabei, in Schillers Versen zu denken. Der Landsmann, der sich die Freiheit genommen hatte, Rebell zu sein, der Fürsten die Stirn bot, der so eine wunderbare Figur wie Karl Moor erfunden hatte, dem wollte er nacheifern.
    Er hätte auch gerne geschrieben, aber der große Wurf, Personen aus Fleisch und Blut zu erfinden, wollte ihm einfach nicht gelingen. Also hatte er begonnen, ein Tagebuch zu führen, und schon deswegen freute er sich auf das große Abenteuer, das ihm bevorstand: mit der Armee des siegreichen Franzosenkaisers Rußland zu erobern. Je mehr er erlebte, desto mehr würde er zu erzählen haben. Zum Beispiel, daß Napoleon jetzt die größte Armee aller Zeiten aufgestellt hatte und daß erstmals in der Geschichte die südlichen und westlichen Völker Europas gemeinsam den Norden erobern wollten. Ein Nimmersatt ist dieser Napoleon, dachte er mit einer gewissen Bewunderung. Nur weil sich Rußland der Kontinentalsperre gegen England nicht anschließt, will er sich gleich das ganze Land einverleiben. Nun ja, dann würden immerhin sämtliche Häfen des europäischen Festlandes für englische Kolonialwaren geschlossen sein und dann könnte ihm England wie ein reifer Apfel in den Schoß fallen. Vielleicht war es ja wirklich eine geniale Idee, Rußland zu bedrohen. Und das Glück, das ihn bisher geleitet hatte, würde Napoleon wohl auch diesmal nicht im Stich lassen. Am Vortag hatte Johannes Gerter von seinem Oberst Eugen von Röder den Auftrag erhalten, nach Öhringen zu reiten, dem Sammelplatz der württembergischen Regimenter, und dort Vorbereitungen für das Eintreffen der Soldaten einzuleiten. Von Röder, Oberst des 4. Regiments Franquement, berichtete ihm auch, daß König Friedrich den eigenen Sohn, Kronprinz Wilhelm, zum Oberbefehlshaber über das württembergische Kontingent ernannt habe, um zu verhindern, daß seine Landeskinder unter französischen Befehl gestellt würden.
    »Der König ist höchst unglücklich über diese Entwicklung«, verriet der Oberst. »Er kennt Rußland, hat da vor fünfundzwanzig Jahren eiskalte Winter und heiße Sommer erlebt, und außerdem starb seine erste Gemahlin dort auf tragische Weise. Er hält – dies jetzt im Vertrauen gesagt – das ganze Unternehmen für Wahnsinn und soll sogar dem russischen Gesandten in Stuttgart feierlich erklärt haben, daß sich sein Heer mit dem russischen Kaiser als nicht im Kriege befindlich betrachte. Sie sehen, Gerter, wir haben eine schwere Aufgabe vor uns. Nicht zuletzt, weil wir mit so vielen verschiedenen Völkern zusammen werden kämpfen müssen, falls es wirklich zum Kampf kommt, es gibt ja noch keine Kriegserklärung Napoleons an Rußland – stellen Sie sich das einmal vor, Seite an Seite mit Franzosen, Deutschen, Polen, Italienern, Schweizern, Litauern, Illyriern, Spaniern und Portugiesen …«
    »Und vergessen Sie die Österreicher nicht«, warf Gerter lächelnd ein.
    »Richtig«, meinte von Röder. »Napoleon wird seinem Schwiegervater demnächst einen Besuch abstatten. Mit einem Bündnisvertrag als Gastgeschenk. Merci, wird Kaiser Franz sagen, und Herr Metternich, der von Schlesien und den illyrischen Provinzen träumt, wird – voilà – die Truppen gleich mitschicken.«
    Sie sprachen es nicht aus, aber beide Offiziere dachten daran, wie seltsam den Österreichern zumute sein
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