Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Marketenderin

Die Marketenderin

Titel: Die Marketenderin
Autoren: Martina Kempff
Vom Netzwerk:
nicht den Hintern verbrennen! Ich bin keine hilflose Frau, ich bin stärker als mancher Mann! Der Gedanke nahm ihr etwas von ihrer Angst. Sie holte tief Luft. Mit einem Schrei atmete sie aus und stieß dem Soldaten ihren Ellenbogen so in die Rippen, daß er das Gleichgewicht verlor und sie ihn mit einem weiteren Schubs auf die Straße befördern konnte.
    »Tut mir leid«, murmelte sie, als sie ihrer Stute die Peitsche gab. Das Pferd, eine solche Behandlung nicht gewohnt, wieherte, stieg kurz auf und raste dann mit solcher Geschwindigkeit davon, daß die Soldaten entsetzt zur Seite stoben.
    »Die Teufelsdirne!« hörte sie noch hinter sich.
    Erst als sie in ihre Straße einbog, konnte sie wieder normal atmen. Noch immer klopfte ihr das Herz bis zum Hals. Mitten in Stuttgart war sie angefallen worden, von Soldaten, mit denen sie vielleicht nach Rußland ziehen müßte! Warum konnte sie nicht Näherin sein, Putzmacherin oder Bäuerin wie Franziska Mössner? Warum konnte sie nicht einfach die wohlbehütete Ehefrau eines ehrbaren Bürgers sein, deren einzige Sorge es war, daß der Mann gut gelaunt blieb und sich die Kinder anständig benahmen? Warum war sie in einen Beruf hineingeboren, in dem eine Frau ihren Mann zu stehen hatte? Warum war sie so abhängig von ihrer Unabhängigkeit? Aber war sie das wirklich? Es gab einen Ausweg. Matthäus Schreiber. Aus Liebe würde sie ihn nicht heiraten, aber Angst war auch kein schlechter Grund. Ich kann nicht allein mit den Soldaten in die Fremde ziehen, dachte sie verzagt.
    Sie zügelte ihr Pferd, als sie vor ihrem Haus eine Gestalt in Uniform sah. Ihr Ellenbogen juckte unerträglich.
    »Butzenbärle! Gott sei Dank!«
    Noch nie hatte sie sich so gefreut, Matthäus Schreiber zu sehen.
    »Julchen, was treibst du dich jetzt in den Straßen rum! Die Männer sind außer Rand und Band – wir haben einen Marschbefehl, müssen nach Öhringen«, sprudelte es aus ihm heraus.
    »Ja, ja«, sagte sie schwach und ließ sich vom Bock helfen. Ihre Knie zitterten immer noch.
    Er brachte Pferd und Wagen in den Stall und fragte dann schüchtern, ob er in ihre Stube dürfte. Mit leicht gesenktem Haupt stand er vor ihr, sah so unbeholfen aus, aber gleichzeitig auch so zuverlässig und berechenbar, daß sie spontan die Arme um ihn schlang und ihn auf die Stirn küßte.
    »Ich freue mich so, dich zu sehen!« rief sie. »Was ist denn das?« Er hielt ihr ein Papier vor die Nase, das sie in der Dämmerung nicht entziffern konnte.
    »Deine Lizenz! Du mußt nur noch unterschreiben. Und deshalb bitte ich dich, mich in deine Stube zu lassen.«
    Wortlos öffnete sie ihm die Tür. Das war wieder typisch Matthäus. Er wußte, wie sehr sie es haßte, offizielle militärische Stellen aufzusuchen, wie ungeschickt sie sich dort ausdrückte, und er hatte ihr den Gang abgenommen. Welchem Regiment sie angeschlossen war, brauchte sie nicht zu fragen. »Mach bitte den Kamin an«, bat sie Matthäus und als er ihr den Rücken zuwandte, ließ sie schnell ihr Strickzeug im Korb verschwinden, kickte ein auf dem Boden liegendes Kleiderbündel unter die Bank und stellte rasch den Frühstücksteller in die Waschschüssel. Sie konnte sich nicht erinnern, daß außer dem Arzt und dem Pfarrer jemals ein Mann in diesem Häuschen gewesen wäre. Selbst den Steuereintreiber hatte ihre Mutter vor der Tür abgefertigt.
    »So, jetzt wird's gleich warm.«
    Matthäus rieb sich die Hände und sah sich dann um. »Nett hast du's hier«, sagte er verlegen. »In Weiler zum Stein habe ich auch ein Häuschen. Von meinem Vater geerbt. Er war Schäfer, ist vor ein paar Jahren gestorben.«
    »Das tut mir leid«, antwortete Juliane.
    »Es war das Herz, sagte der Arzt. Man fand ihn mit dem Hirtenstock im Arm. Den habe ich noch. Mit deiner Mutter … das tut mir auch leid. Sie fehlt dir sicher sehr, vor allem jetzt.«
    Juliane nickte. »Und du hast mir wirklich meine Lizenz besorgt?«
    Matthäus strich das Blatt Papier auf dem grob gehobelten Tisch glatt. »Zu Befehl, mein Fräulein, alles geregelt. Alles, außer einem …«
    »Und das wäre?«
    Sie stand immer noch bei der Waschschüssel, hatte ihm den Rücken zugewandt. Er trat auf sie zu, drehte sie langsam um und sah ihr in die Augen.
    »Das weißt du ganz genau. Ich will dir nicht lästig fallen, dich nicht bedrängen, aber ich möchte, daß du dir jetzt gut anhörst, was ich zu sagen habe.«
    Der Blick in ihren Augen machte ihm Mut. Der spöttische Ausdruck war verschwunden, hatte einer Milde
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher