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Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen

Titel: Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen
Autoren: Willy Seidel
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Perlafinger. Seine Miene glättete sich; die zornrote Wolke löste sich auf; alle Amoretten der Vorkriegszeit meldeten sich.
    »Sehen S', das ist Musik«, sagte er glücklich und summte mit. Und nach jeder Strophe machte er ein kleines Beifallsgetöse und nippte einen Schluck. So thronte er, mit den Schaumweinperlen im Backenbart, wie ein unsterbliches Symbol des alten echten Wien gleichsam über dem ganzen Saal. Und der Saal schien das zu empfinden, denn die anderen (übrigens meistens unwienerisch aussehenden) Herrschaften in den anderen Logen hoben die Gläser und tranken ihm zu. Auch der glückgeschwellte Caruso mit der Hornbrille verzögerte den tänzelnden Schritt und legte ihm gleichsam ein Klangopfer zu Füßen.
    »Man muß den Leuten abbitten«, dachte Perlafinger. »Sie ham doch Lebensart . . . Ja, unser konservatives Element ist nicht umzubringen. Der liebe Gott schützt es in seiner Echtheit. Mit der Mode muß man halt gehen, die Fremden verlangen das. Aber es bleibt g'sund, das goldene, herrliche Wiener Herz.« – Er wedelte herablassend mit dem Handrücken, wie es die erlauchte Spiegelfigur gemacht. Der Sänger, gleichsam neugestärkt dadurch, kletterte zum Schluß des Liedes in glockenreine Kastratenhöhe.
     
    Schwebendes Glücksgefühl beseelte Perlafinger. Und dies war irgendwie verknüpft mit der mythischen Persönlichkeit, von der man ihm im Griechenbeisl erzählt hatte. Mein Gott, was die Schrammelmusik anlangte, so hatten jene Herren sich eben in bester Absicht getäuscht. Man weiß ja auch nicht, was die Fremden wollen; das wechselt jeden Tag. Aber von diesem Fräulein Josephine oder »Peperl« – von diesem verheißungsvollen Geschöpf hatte er eine ganz festumrissene Vorstellung. »Brünett«, hatten jene Herren gesagt. »Südlich; temperamentvoll.« Also höchstwahrscheinlich eine Ungarin, eine Madjarin mit etwas rauher Kehle. Nicht unbedingt aufs Wurzen versessen, sondern eine, die mit sich plaudern ließ und einen soliden älteren Herrn zu schätzen wußte. No – auf ein Flascherl Sekt kam's nicht an.
    Ob sie wohl auch so eine weiße Haut hatte wie die Ilonka? Das war ihm nämlich bei der Ilonka aufgefallen, obwohl er gar nicht so besonders g'nau hing'schaut (weil er doch auf einer offiziellen Sendung war). Aber das war sicher: maßlos gespannt war er auf dieses Fräulein Josephine. Mit allem Vorkriegscharme würde er seinen Wunsch äußern diesen Lakaien gegenüber in ihren fleckigen Fräcken: »Führen S' mir einmal jene Dame her. Sagen S' ihr, sie hat meinen Beifall erregt.« Und dann würde das herzige Kind anschwirren, mit zitternden Knien seinen Knix machen und aus ihrem Plaudermund würden naive Bemerkungen quellen, während er sie ein wenig krabbeln würd' unterm Kinn oder sonstwo. Und dann würde er sich herablassen, ihr unter Umständen intimer näherzutreten . . .
    In diese Träumerei, die wieder von viehischem Saxophongeplärr gestört wurde, stieß die Ankunft einer reiferen Dame, deren Alter die rücksichtsvolle Abschätzung zwischen dreißig und vierzig vertrug. Zielbewußt war sie durch den Saal geschritten in einem kurzen Abendkleid mit vielen Silberpailletten, mit fleischfarbenen Seidenstrümpfen an fülligen Waden und Tanzschuhen, deren Hacken energisch knallten. Oben war sie nackt, unter Puder gesetzt, und trug an den grübchenvollen Armen viel klirrendes Schmuckzeug. Ein Doppelkinn hatte sie, einen fuchsroten Bubikopf und wässrige, leicht untermalte Augen. Aber ihre Stubsnase, ihr Lächeln und ihre runde Kinderstirn gaben ihr was ausgesprochen Sympathisches, wie auch ihr tiefes Organ.
    »Grüß Gott, Herr Hofrat,« sagte sie ohne Federlesen und hielt ihm kameradschaftlich die Hand hin, »amüsieren Sie sich bei uns? Warten S', ich leist' Ihnen ein bißchen Gesellschaft . . . Es is ja auch schad' für einen hübschen Herrn, so ganz allein . . .«
    »Hm. Ich erinnere mich nicht,« sagte er mit der silbenhackenden Korrektheit, mit der ein besserer Herr Zurückhaltung durchblicken läßt – »die werte Bekanntschaft . . .«
    ». . . gemacht zu haben. Macht nichts. – Ober, noch a Flasch'n.«
    Der Ober hüpfte davon. Sie herrschte hier, das war klar. Der Hofrat wurde konfus.
    »Aber Sie wern doch gestatten, daß ich mich vorstelle . . .«
    »Damit hat's keine Eile. Hier tut ein jeder, was er mag. Und die Konvention: die lassen wir schwimmen, wie?«
    »Wie Sie wünschen«, entschloß sich Perlafinger und hob das Glas. Die Dame bohrte die Zunge in die
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