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Die Magd von Fairbourne Hall

Die Magd von Fairbourne Hall

Titel: Die Magd von Fairbourne Hall
Autoren: Julie Klassen
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nur angelehnt war, stehen und presste das Ohr an den Spalt.
    »Ich habʼs doch versucht.« Das war Marcusʼ Stimme.
    »Dann streng dich mehr an«, erwiderte Sterling.
    »Was soll ich denn noch tun? Ich war so charmant und aufmerksam, wie ich konnte. Sie mag mich einfach nicht.«
    »Früher mochte sie dich. Am Anfang, als du gekommen bist.«
    »Dann hat sie ihre Meinung jetzt eben geändert. Sie ist eiskalt zu mir.«
    »Dann wärm sie auf. Hab ich dich nicht bei mir aufgenommen und dir alle Chancen geboten?«
    Marcus murmelte etwas, das Margaret nicht verstand.
    »Gestern Abend habe ich gesehen, wie sie mit Lewis Upchurch geredet hat. Er hat sie zu Beginn der Saison sehr hofiert. Ich fürchte, wenn es ihr gelingt, sein Interesse erneut zu wecken, werden wir sie verlieren.«
    »Ihr Geld verlieren, meinst du.«
    »Muss ich dich wirklich daran erinnern, dass derjenige, der die Kleine heiratet, über ihr Erbe verfügen wird?«
    »Wenn sie nicht heiratet, wird sie selbst darüber verfügen.«
    »Und es für Tand und Tinnef zum Fenster hinauswerfen.« Jetzt vernahm Margaret das charakteristische Geräusch, mit dem ein Glas auf den Tisch gestellt wird. Sterling hatte seine Stimme erhoben, doch nun dämpfte er sie wieder. »Ich werde Murdoch anweisen, Upchurch nicht einzulassen, wenn er vorspricht – und auch keinen anderen Gentleman.«
    »Wenn ich es dir doch sage, Onkel – Lewis Upchurch hat kein Interesse mehr an Margaret.«
    »Hoffen wir, dass du recht hast. Aber falls du die Sache wirklich so verpfuscht hast, wie du sagst, müssen wir aufpassen, dass sie nicht mit irgendeinem Glücksritter durchbrennt, wenn wir sie einen Moment aus den Augen lassen.«
    Marcus sagte: »Gut ist, dass praktisch niemand von dem Erbe weiß. Wenn es bekannt wäre, würden die Männer uns die Türen einrennen.« Sarkastisch fügte er hinzu: »Wenn du es doch nur früher gewusst hättest, Onkel.«
    »Du vergisst dich, Marcus.« Sterlings kühle Stimme enthielt eine unverhohlene Warnung. »Und jetzt«, fuhr er zähneknirschend fort, »heirate sie. Es ist mir egal, wie du es anstellst, aber heirate sie.«
    »Was schlägst du vor?«
    »Habe ich denn nicht deine Erziehung bezahlt, Marcus? Bist du wirklich so ein Trottel?«
    »Wie meinst du das?«
    »Komm schon. Charme und Schmeicheleien verfehlen nie ihr Ziel, jedenfalls nicht bei den Macy-Frauen. Umwirb sie, schmeichle ihr, sprich von Liebe. Und wenn alles nichts nützt … kompromittiere sie.«
    »Du meinst doch nicht etwa …?«
    »Warum nicht? Das hast du doch früher auch schon getan.«
    Marcus zischte: »Aber sie ist eine Lady!«
    »Und wird ihren guten Ruf wiederherstellen, indem sie dich heiratet.«
    Margaret presste eine Hand vor den Mund und unterdrückte einen Wutschrei. Dann schluckte sie die Magensäure herunter, die ihr in die Kehle gestiegen war.
    Die Milch war vergessen. Sie schlich sich wieder hinauf. Diese elenden Blutsauger!
    In ihrem Zimmer schob sie einen Stuhl vor die Tür, doch der konnte einen Mann natürlich nicht lange zurückhalten. Ruhelos ging sie auf und ab. Körperlich war sie Marcus auf keinen Fall gewachsen. Wenn er sich tatsächlich Zutritt zu ihrem Zimmer verschaffte, wäre sie gefangen wie ein Vogel im Käfig, ein in die Ecke getriebener Hase.
    Eine der Predigten ihres Vaters fiel ihr ein. Er hatte davon gesprochen, dass die Menschen sich viel öfter den jungen Josef aus dem Alten Testament zum Vorbild nehmen sollten. Als Potiphars lüsterne Frau versuchte, ihn zu verführen, schloss er sich nicht etwa in seinem Zimmer ein.
    Er floh.
    Sie musste ebenfalls fliehen. Sie durfte keine einzige Nacht mehr im Haus von Sterling Benton verbringen.
    Aber wo sollte sie hingehen? Sie hatte nur die paar Münzen, die sie vom Frisiertisch ihres Stiefvaters genommen hatte, aber damit kam sie nicht weit. Wenn doch nur ihre Mutter zu Hause wäre! Auch wenn sie in dieser Sache ganz klar Sterlings Partei ergriffen hatte, würde sie sich doch niemals daran beteiligen, den Ruf ihrer Tochter zu ruinieren.
    Plötzlich hörte sie ein Geräusch. Sie blieb stehen und lauschte. Stand Marcus vielleicht schon vor ihrer Tür?
    Gedämpftes Schluchzen. Wer konnte das sein? Sie ging in ihr Ankleidezimmer hinüber und öffnete die Tür. Da stand Joan, an die Wand gelehnt, das Gesicht blass und fleckig unter dem kastanienbraunen Haar mit dem weißen Häubchen, und schluchzte jämmerlich.
    »Was ist denn?«, fragte Margaret, doch gleichzeitig spürte sie ein ängstliches Prickeln, als wüsste sie
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