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Die Magd von Fairbourne Hall

Die Magd von Fairbourne Hall

Titel: Die Magd von Fairbourne Hall
Autoren: Julie Klassen
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absichtlich erst heruntergekommen, als sie damit rechnen konnte, dass er das Haus bereits verlassen hatte, während sein Faulpelz von Neffe um diese Zeit gewöhnlich noch in den Federn lag.
    Sterling rührte in einer Tasse Kaffee, obwohl er, wie sie wusste, weder Zucker noch Milch nahm. Er hatte volles silbernes Haar, markante Gesichtszüge und strahlte ein unerschütterliches Selbstbewusstsein aus. Sie konnte verstehen, was Frauen wie Miss Lyons oder ihre Mutter in ihm sahen. Und doch war sie fassungslos, ja, fast krank vor Entsetzen gewesen, als ihre Mutter kaum ein Jahr nach Stephen Macys Tod ihre Verlobung mit diesem Mann bekanntgab.
    Margaret zwang sich zu einem höflichen Ton. »Guten Morgen.«
    Er blickte auf und sah sie mit seinen eisblauen Augen durchdringend an. »Ist es ein guter Morgen, Margaret? Sag duʼs mir.«
    Margaret holte sich einen Teller von der Anrichte, aber eher als Vorwand, um ihm den Rücken zuwenden zu können, nicht, weil sie Hunger hatte. Als sie ihn allein hier angetroffen hatte, war ihr der Appetit vergangen.
    »Du hast dich offenbar gestern Abend nicht besonders amüsiert«, sagte er. »Dennoch kann ich nicht billigen, dass du die Gesellschaft allein verlassen hast.«
    »Ich war nicht allein. Ich bin mit Emily Lathrop und ihren Eltern gegangen.«
    »Und dass du nicht ein einziges Mal getanzt hast, obwohl Marcus dich ganz bestimmt aufgefordert hat.«
    Margaret wusste, dass jede Aufforderung, die von Marcus kam – ob zum Tanz oder zur Heirat – auf Geheiß seines Onkels erfolgte.
    »Ich war nicht in der Stimmung zu tanzen«, sagte sie und dachte, weil Lewis Upchurch mich nicht um einen Tanz gebeten hat .
    Sterling trank einen Schluck Kaffee. »Du bist gegangen, bevor es richtig interessant wurde.«
    »Ach ja?«
    »Nathaniel Upchurch ist von den westindischen Inseln zurückgekehrt, verwildert und verwahrlost wie ein Heide. Er hat seinen Bruder Lewis ohne jeden Grund vor der ganzen Gesellschaft angegriffen.«
    Margaret, die ja ein paar Brocken des Streits aufgeschnappt hatte, vermutete, dass es durchaus einen Anlass gegeben hatte, jedenfalls in Nathaniels Augen, doch sie schwieg.
    Also hatte Sterling nicht gesehen, dass sie noch einmal in den Ballsaal zurückgekehrt war. Der Gedanke, dass seine Adleraugen doch nicht so unfehlbar waren, war ein kleiner Trost.
    »Deine Mutter hat mir erzählt, dass er dir früher einmal den Hof gemacht hat«, fuhr Sterling fort.
    Margaret legte sich einen Muffin auf den Teller, ohne wirklich zu sehen, was sie nahm. »Das war vor Jahren, bevor er England verlassen hat.«
    »Und du hast seinen Antrag abgelehnt?«
    »Ja.«
    »Sehr klug von dir, mein Mädchen. Sehr klug.«
    Sie hatte das auch gedacht – damals schon und erst recht jetzt, nach den Ereignissen des gestrigen Abends. Doch sein süffisanter Ton ärgerte sie. »Und warum, bitte sehr?«
    »Weil du nun Marcus heiraten kannst. So wie es sich gehört. Es ist sinnlos, sich dem Schicksal zu widersetzen, meine Liebe.«
    Er stand auf, trat neben sie und packte ihren Arm. Seine langen, sorgfältig manikürten Finger bohrten sich schmerzhaft in ihr Fleisch. »Ich würde dir wirklich raten, dich dem Schicksal nicht zu widersetzen, Margaret. Das Schicksal gewinnt immer. Genau wie ich, meine Liebe.«
    Margaret erschauerte, sagte jedoch nichts.
    Sterling warf ihr einen letzten warnenden Blick zu und verließ das Zimmer.
    Seufzend machte Margaret sich an ihr einsames Frühstück, das aus Tee, einem Ei und einem Muffin bestand. Doch ihr Magen revoltierte. Sie schob den Teller fort und trank nur den Tee.
    Es würde ihr nicht schaden, wenn sie ein paar Mahlzeiten ausließ. Sie nahm während der Saison, bei all dem guten Essen und den Mitternachtsdinners, immer ein wenig zu. Ob Lewis Upchurch wohl gertenschlanke Frauen wie Miss Lyons bevorzugte? Es hatte den Anschein.
    Ohne auch nur einen Bissen gegessen zu haben, kehrte Margaret auf ihr Zimmer zurück. Sie zog die unterste Schublade ihrer Kommode auf und nahm ein Mahagonikästchen heraus, in dem sie ein paar Erinnerungsstücke an ihren Vater aufbewahrte. Dann hob sie den Deckel an und atmete tief ein.
    Der Duft eines Säckchens, in das sie ein wenig Pfeifentabak von ihrem Vaters eingenäht hatte, umgab sie mit erdiger, würziger Vertrautheit. Oh Papa, ich vermisse dich so … Sie strich über die Dinge, die ihrem Vater gehört hatten – sein Neues Testament, zwei Briefe, die er ihr geschrieben hatte, seine Brille und ein altes Paar Handschuhe. Sie nahm die Brille
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