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Die Magd von Fairbourne Hall

Die Magd von Fairbourne Hall

Titel: Die Magd von Fairbourne Hall
Autoren: Julie Klassen
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sie laute Stimmen aus dem Ballsaal, was sie veranlasste, noch einmal in die Tür zu treten. Ein kreischendes Geräusch, ein Krachen – Holz, das auf Holz prallte. Ein umgestürzter Stuhl schlitterte über den Boden. Die Musik verstummte, eine Geige quietschte protestierend auf, während die Musiker einer nach dem anderen ihre Instrumente sinken ließen. Die tanzenden Paare trennten sich und verstreuten sich im Saal.
    Emily packte Margarets Handgelenk und zog sie wieder in den Ballsaal hinein. Margaret wehrte sich; niemand sollte sehen, dass sie schon zum Gehen gekleidet war, doch Emily ignorierte sie und trat weiter vor. Die beiden jungen Frauen verrenkten sich die Hälse, um trotz der größeren Herren und der üppigen Federhüte der Damen, die ihnen die Sicht versperrten, den Grund für die Unruhe ausmachen zu können.
    Umringt von der erschrockenen, aber neugierigen Menge, standen sich zwei Männer gegenüber, die Brust vorgereckt, die Fäuste erhoben. Beide waren groß und dunkelhaarig. Lewis Upchurch stand so, dass Margaret sein Gesicht sehen konnte. Auf seinen gut geschnittenen Zügen zeichneten sich Überraschung und Zorn ab. Einen Augenblick glaubte Margaret, der andere Mann sei Piers Saxby, erbost wegen der Aufmerksamkeit, die Lewis Miss Lyons gezollt hatte. Doch dann fiel ihr ein, dass Saxby unter seinem Dreispitz Abendkleidung trug, während der Mann, der Lewis gegenüberstand, Lederbreeches, hohe Stiefel und einen Reitmantel anhatte.
    »Du wirst zu Hause gebraucht«, knurrte der Unbekannte.
    Lewis grinste. »Dir auch einen schönen guten Abend.«
    »Jetzt.«
    Nun sah sie das Profil des Mannes – ein schwarzer Bart verdeckte die Gesichtszüge. Er sah aus wie der Pirat, der Saxby gern gewesen wäre.
    »Immer mit der Ruhe, Nate. Haben sie dir diese Manieren etwa in Westindien beigebracht?«
    Margaret schnappte nach Luft. Das war doch nicht möglich!
    »Und was ist mit deinen Manieren?«, wollte der andere wissen. »Vater hat dir geschrieben und dich gebeten, nach Hause zu kommen und deine Pflicht zu erfüllen!«
    Nathaniel Upchurch. Margaret konnte es kaum glauben. Fort waren die Blässe, die schmale Gestalt, das zögernde Wesen, die Brille. Jetzt spannte sich der Mantel über den breiten Schultern. Die engen Lederhosen schmiegten sich um muskulöse Beine. Der unmoderne schwarze Bart betonte die hohen Wangenknochen und die lange Nase. Seine Haut war goldbraun, das Haar dicht und widerspenstig; er trug es am Hinterkopf zusammengefasst, doch einzelne Strähnen hatten sich gelöst. Sogar seine Stimme klang anders – tiefer, rauer und doch vertraut.
    Lewis grinste. »Aber ich tue doch meine Pflicht. Ich repräsentiere meine langweilige Familie in der für uns alle so wichtigen Ballsaison.«
    Nathaniel blickte sich um, als sei er sich plötzlich ihres Publikums bewusst geworden. »Kommst du jetzt mit mir nach draußen, damit ich mit dir reden kann, oder soll ich dich rauszerren?«
    »Versuchʼs doch.«
    Nathaniel packte Lewisʼ Arm. Dieser taumelte nach vorn, überrascht von der Kraft, die hinter dem Griff steckte.
    Neben ihr flüsterte Emily: »Ist das etwa Nathaniel Upchurch?«
    Margaret nickte.
    »Aber er ist so verändert. Wenn er sich nicht mit seinem Bruder streiten würde, hätte ich ihn gar nicht erkannt. Er sieht – er sieht fast aus wie ein Wilder, findest du nicht?«
    Margaret brachte erneut ein steifes Nicken zustande.
    »Man könnte ihn beinahe für einen Piraten halten.« Emily sog scharf die Luft ein. »Vielleicht ist er ja einer! Vielleicht ist er der Dich­ter-Pirat, von dem alle Zeitungen voll sind!«
    Margaret schien ihre fantasievolle Freundin kaum zu hören. Sie dachte daran, wie Nathaniel Upchurch bei ihrer letzten Begegnung ausgesehen hatte. Die grünen Augen geweitet, voller Schmerz, Tränen hinter der beschmutzten Brille. Die Mundwinkel herabgezogen, mut­los und enttäuscht.
    Lewis gewann sein Gleichgewicht wieder und befreite sich aus dem Griff seines Bruders. »Lass mich los, du Affe.«
    Nathaniel hörte die Beleidigung und versetzte seinem Bruder einen Fausthieb ins Gesicht. Die bis jetzt wie erstarrt dastehenden Gäste schrien auf und erwachten zum Leben.
    Margaret hatte gar nicht gemerkt, dass sie ebenfalls aufgeschrien hatte, doch da fuhr Nathaniels Kopf zu ihr herum.
    Eine Sekunde lang stand er nur da, ganz still, eine Hand am Halstuch seines Bruders, die andere zur Faust geballt. Über die anderen Gäste hinweg begegneten sich ihre Blicke. Margaret sog erschrocken die Luft
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