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Die Macht des Zweifels

Titel: Die Macht des Zweifels
Autoren: Jodi Picoult
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Rechtsberatung für sozial schwache Bürger anbieten. Vielleicht bleibe ich aber auch einfach nur zu Hause und sehe zu, wie mein Sohn aufwächst.
    Ich klopfe auf den Umschlag in meiner Hand. Er kommt vom Disziplinarausschuß der Anwaltskammer und liegt nun schon seit fast zwei Monaten ungeöffnet auf der Arbeitsplatte in der Küche. Warum sollte ich ihn jetzt noch öffnen? Ich weiß ja, was drin steht.
    Ich setze mich an den Computer und schreibe eine knappe Mitteilung. Hiermit gebe ich meine anwaltliche Zulassung zurück. Ich werde den Anwaltsberuf nicht mehr ausüben. Mit freundlichen Grüßen, Nina Frost .
    Ich drucke den Brief aus, stecke ihn in ein adressiertes Kuvert, das ich zuklebe und frankiere. Dann ziehe ich meine Schuhe an und gehe zum Briefkasten.
    Â»Okay«, sage ich laut, nachdem ich den Brief eingeworfen habe. »Okay«, wiederhole ich, obwohl es doch nur eins bedeutet: Und was mache ich jetzt ?

    Im Januar gibt es immer eine Woche mit Tauwetter. Urplötzlich klettert die Temperatur auf zehn Grad. Der Schnee schmilzt zu Pfützen, so groß wie kleine Seen. Die Leute sitzen auf ihren Veranden und schauen dem Spiel der Natur zu.
    Dieses Jahr jedoch hält das Tauwetter ungewöhnlich lange an. Begonnen hat es am Tag nach Ninas Freilassung. An jenem Nachmittag wurde der Teich, auf dem die Kinder immer eislaufen, gesperrt, weil das Eis zu dünn geworden war. Gegen Ende der Woche fuhren die Teenager schon mit ihren Skateboards auf den Bürgersteigen. Es hieß sogar, in dem Matsch würden die ersten Krokusse sprießen. Gut fürs Geschäft war das auf jeden Fall – weil auf Baustellen, die während des Winters brachlagen, jetzt wieder die Arbeit aufgenommen werden konnte. Und außerdem ist es, soweit Caleb weiß, das erste Mal, daß schon so früh im Jahr der Saft in den Ahornbäumen steigt.
    Gestern hat Caleb die Bäume angezapft und die Eimer aufgestellt. Heute geht er durch den Garten und sammelt den Saft ein. Der Himmel sieht aus wie frisch gewaschen, und Caleb hat sich die Hemdsärmel bis über die Ellbogen hochgekrempelt. Der Matsch ist ein Sukkubus, der nach seinen Stiefeln greift, aber selbst das hält ihn nicht auf. Tage wie diese gibt es einfach nicht oft genug.
    Er schüttet den Saft in große Bottiche. Fünfzehn Liter von diesem süßen Saft werden zu knapp vier Litern Ahornsirup eingekocht. Caleb macht das auf dem Küchenherd, in dem großen Spaghettitopf, und er schüttet jede Portion zuerst durch ein Sieb, ehe sie eindickt. Nina und Nathaniel interessiert nur das Endprodukt – sie essen es am liebsten zu Pfannkuchen und Waffeln. Aber für Caleb ist die Arbeit bis zum Endprodukt das Schönste dabei. Das Blut eines Baumes, ein Zapfen und ein Eimer. Aufsteigender Dampf, der Duft, der in jede Ecke des Hauses dringt. Zu wissen, daß jeder Atemzug süß schmecken wird.

    Nathaniel baut eine Brücke, obwohl sie vielleicht doch noch ein Tunnel wird. Das Tolle an Lego ist ja gerade, daß man es sich mittendrin noch anders überlegen kann. Manchmal, wenn er mit Lego baut, tut er so, als wäre er sein Vater, und dann geht er mit der gleichen systematischen Planung vor. Und manchmal tut er so, als wäre er seine Mutter, und baut einen Turm so hoch, wie es nur geht, bis er umkippt.
    Er muß sich um den Hundeschwanz herumarbeiten, weil Mason leider mitten im Zimmer auf dem Boden liegt und schläft, aber das macht nichts, weil es ja auch ein Dorf mit einem Ungeheuer drin sein könnte. Oder er bastelt sogar das irre, superschnelle Fluchtboot.
    Aber wohin könnten sie alle zusammen fliehen? Nathaniel überlegt kurz, dann legt er vier grüne und vier rote Steine nebeneinander und fängt an zu bauen. Er macht stabile Wände und große Fenster. Eine Schicht von einem Haus, das weiß er von seinem Vater, nennt man Stockwerk .
    Das gefällt ihm. Als würden sie alle in kleinen, gemütlichen Hütten aus Stöcken wohnen, wie manche Menschen weit, weit weg, wo immer die Sonne scheint und alle glücklich sind.

    Die Wäsche zu machen ist immer ein guter Anfang und geht fast automatisch. Irgendwie scheint sich unsere Schmutzwäsche im Wäschekorb zu vervielfältigen, und egal, wie vorsichtig wir mit unserer Kleidung sind, alle zwei Tage muß neu gewaschen werden. Ich lege die frischen, sauberen Sachen zusammen und trage sie nach oben, räume zunächst die von
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