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Die Macht des Zweifels

Titel: Die Macht des Zweifels
Autoren: Jodi Picoult
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danach, daß Caleb über die Weite dieses Bettes hinweg meine Hand ergreift. Ich brauche das Gefühl, daß wir nicht meilenweit voneinander getrennt sind.
    Â»Was denkst du?« fragt er.
    Ich drehe mich zu ihm. Im Mondlicht ist sein Profil in Gold gegossen, die Farbe des Mutes. »Ich treffe keine einsamen Entscheidungen mehr«, antworte ich.
    Er stützt sich auf einen Ellbogen, blickt mich an. »Was würde passieren?«
    Ich schlucke und versuche, das Beben aus meiner Stimme zu halten. »Na ja, ein Richter wird mich schuldig sprechen, weil ich, rein rechtlich betrachtet, einen Mord begangen habe. Aber der Vorteil wäre … daß ich wahrscheinlich keine so lange Gefängnisstrafe bekäme, wie das bei einem Schuldspruch der Geschworenen der Fall wäre.«
    Plötzlich schwebt Calebs Gesicht über mir. »Nina … du darfst nicht ins Gefängnis gehen.«
    Ich wende mich ab, so daß er die Träne, die mir seitlich über das Gesicht läuft, nicht sehen kann. »Ich kannte das Risiko, als ich es getan habe.«
    Seine Hände umschließen meine Schultern. »Du darfst nicht. Du darfst einfach nicht.«
    Â»Ich komme ja wieder.«
    Â»Wann?«
    Â»Ich weiß nicht.«
    Caleb vergräbt das Gesicht an meinem Hals, ringt nach Luft. Und dann umklammere ich ihn plötzlich auch, als dürfte heute keine Distanz mehr zwischen uns sein, weil sie morgen zu groß sein wird. Ich spüre die Schwielen an seinen Händen rauh auf meinem Rücken, und die Hitze seiner Trauer verbrennt mich fast. Als er in mich eindringt, grabe ich meine Fingernägel in seine Schultern, will eine Spur von mir hinterlassen. Wir lieben uns ungemein heftig, mit so viel Gefühl, daß die Atmosphäre um uns vibriert. Und dann ist es, wie alles im Leben, vorbei.
    Â»Aber ich liebe dich doch«, sagt Caleb, und seine Stimme bricht, denn in einer vollkommenen Welt würde das allein schon genügen.

    Während der Stunde, die ich an Nathaniels Bett sitze und ihm beim Schlafen zuschaue, regt er sich nicht. Aber als ich sein Haar berühre, weil ich mich nicht länger beherrschen kann, dreht er sich um und sieht mich blinzelnd an. »Es ist noch dunkel«, flüstert er.
    Â»Ich weiß.«
    Ich sehe, wie er versucht, sich darauf einen Reim zu machen: Was könnte mich bewogen haben, ihn mitten in der Nacht zu wecken? Wie soll ich ihm erklären, daß er vielleicht kaum noch in sein Bett paßt, wenn ich das nächste Mal Gelegenheit habe, ihn im Schlaf zu beobachten? Daß es, wenn ich zurückkomme, den kleinen Jungen, den ich zurückgelassen habe, nicht mehr geben wird?
    Â»Nathaniel«, sage ich zittrig. »Vielleicht gehe ich fort.«
    Er setzt sich auf. »Das geht nicht, Mommy.« Und mit einem Lächeln findet er sogar einen Grund dafür. »Wir haben dich doch eben erst zurückgekriegt.«
    Â»Ich weiß … aber die Entscheidung liegt nicht bei mir.«
    Nathaniel zieht sich die Decke unters Kinn und sieht auf einmal ganz klein aus. »Was hast du denn diesmal gemacht?«
    Schluchzend ziehe ich ihn auf meinen Schoß und drücke das Gesicht in sein Haar. Er reibt seine Nase an meinem Hals, und das erinnert mich so sehr an ihn als Baby, daß ich nicht mehr atmen kann. Ich würde alles geben, jetzt, um diese Minuten zurückzubekommen. Selbst die ganz alltäglichen Augenblicke – Autofahrten, das Aufräumen des Kinderzimmers, zusammen mit Nathaniel das Abendessen kochen. Sie sind nicht weniger wunderbar, nur weil wir sie als alltäglich erlebt haben. Nicht das, was wir mit einem Kind tun, verbindet uns mit ihm … sondern das Glück, daß wir es überhaupt tun können .
    Ich schiebe ihn von mir weg, um sein Gesicht betrachten zu können. Der Schwung des Mundes, die Wölbung der Nase. Seine Augen, die Erinnerungen bewahren wie der Bernstein, dem sie ähneln. Behalte sie , denke ich. Hüte sie für mich .
    Inzwischen weine ich heftig. »Ich verspreche dir, daß ich nicht für immer gehe. Ich verspreche dir, daß du mich besuchen kommen kannst. Und du darfst nie vergessen, daß ich jede Minute an jedem Tag, den ich nicht bei dir bin, nur daran denke, wie lange es noch dauern wird, bis ich zurückkommen kann.«
    Nathaniel schlingt die Arme um meinen Hals und klammert sich fest, als ginge es um sein Leben. »Ich will nicht, daß du gehst.«
    Â»Ich weiß.« Ich sehe ihn
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