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Die Macht des Geistes

Die Macht des Geistes

Titel: Die Macht des Geistes
Autoren: Poul Anderson
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lieber um«, sagte der Australier heiser.
    Manzelli weinte noch immer fassungslos.
    »Warum begreifen Sie nicht, daß wir recht haben?« fragte der Franzose. »Sollen alle Errungenschaften der Vergangenheit plötzlich nichts mehr wert sein? Soll Gott zu einer Sagengestalt werden, bevor die Menschen ihn gefunden haben? Wie stellen Sie sich die Zukunft der Menschheit vor? Wir haben uns in Rechenmaschinen verwandelt, aber Körper und Seele welken dahin, während wir unermüdlich neue Gleichungen lösen.«
    Mandelbaum zuckte mit den Schultern. »Ich bin nicht für die Veränderung verantwortlich«, sagte er ruhig. »Sie glauben an Gott? Gut, dann müssen Sie aber auch daran glauben, daß er für die neuen Verhältnisse verantwortlich ist, mit denen wir uns abfinden müssen.«
    »Trotzdem ...«, begann der Franzose nochmals.
    »Hören Sie gut zu«, unterbrach Mandelbaum ihn aufgebracht, »ich kann Ihnen sagen, an welcher Krankheit Sie alle leiden: Sie haben Angst davor, mutig ein neues Leben zu beginnen. Anstatt die Zukunft zu beeinflussen, sehnen Sie sich nach einer Vergangenheit, die bereits eine Million Jahre hinter uns liegt. Sie haben die alten Illusionen verloren und sind zu kleinmütig, um sich neue und bessere zu verschaffen.«
    »Fortschrittsgläubig wie alle Amerikaner«, murmelte der Chinese.
    »Wie kommen Sie darauf? Davon kann längst nicht mehr die Rede sein. Wir alle wissen, daß wir keine Vergangenheit mehr besitzen, und ich gebe zu, daß die neue Einsamkeit manchmal schrecklich ist. Aber weshalb soll der Mensch nicht imstande sein, ein neues Gleichgewicht zu erreichen? Sind Sie wirklich davon überzeugt, daß wir keine neue Kultur begründen können, nachdem jetzt die alten Schranken gefallen sind? Und glauben Sie, daß die Menschen sich nach dem alten Zustand sehnen? Bestimmt nicht, das verspreche ich Ihnen. Allein die Tatsache, daß Sie Ihren Plan in aller Heimlichkeit verwirklichen wollten, zeigt deutlich genug, daß Sie sich darüber ebenfalls im klaren waren.«
    Mandelbaum holte tief Luft, bevor er weitersprach. »Was hat die alte Welt neunzig Prozent der Menschheit zu bieten gehabt? Arbeit, Unwissenheit, Seuchen, Krieg, Not, Furcht und Unterdrückung von der Wiege bis zur Bahre. Wer das Glück hatte, in einem der wenigen reichen Länder geboren worden zu sein, hatte jeden Tag zu essen und vielleicht sogar ein paar glitzernde Spielzeuge, aber weder Hoffnung noch Zukunftsaussichten noch Lebenszweck. Aber jetzt sind uns endlich die Augen geöffnet worden – und Sie wollten uns wieder blind und unwissend machen!«
    Mandelbaum wandte sich schulterzuckend ab. »Los, nehmt sie mit«, sagte er zu seinen Begleitern.
    Die Verschwörer gingen wortlos auf das Boot zu, das Sekunden später mit ihnen zu dem Raumschiff hinaufschwebte. Mandelbaum sah ihnen nach und warf dann einen Blick auf das zerstörte Schiff vor ihnen.
    »Ein heroischer Versuch!« murmelte er kopfschüttelnd. »Zwecklos, aber heroisch. Eigentlich bewundernswert. Hoffentlich dauert es nicht allzu lange, bis sie von ihrem Größenwahn geheilt sind.«
    Corinth lächelte ungläubig. »Natürlich haben wir völlig recht. Und jeder, der anders denkt, ist verrückt«, sagte er.
    Mandelbaum grinste. »Tut mir leid, daß ich einen Vortrag gehalten habe«, antwortete er. »Nur eine alte Gewohnheit – Tatsachen müssen sich moralisch untermauern lassen. Aber vielleicht kommen wir bald darüber hinweg.«
    Der Physiker schüttelte den Kopf. »Irgendeine Moral brauchen wir aber auch in Zukunft.«
    »Selbstverständlich, aber ich hoffe, daß wir dann ohne Nebenerscheinungen wie Kreuzzüge, Ketzerverbrennungen und Zuchthäuser auskommen. Wir brauchen mehr persönliches und weniger öffentliches Ehrgefühl.«
    Mandelbaum gähnte ungeniert und streckte sich umständlich. »Eigentlich schade um den langen Flug, wenn es am Ende nicht einmal eine Schießerei gibt«, meinte er. Das Boot war in der Zwischenzeit wieder automatisch herabgekommen. »Ich gehe jetzt schlafen. Den Trümmerhaufen können wir morgen untersuchen. Kommt ihr auch?«
    »Noch nicht«, antwortete Corinth. (Ich kann jetzt nicht schlafen. Ich will noch etwas nachdenken.) »Ich mache einen Spaziergang an den Strand.«
    »Ja, das kann ich verstehen.« Mandelbaum nickte freundlich. »Gute Nacht.«
    »Gute Nacht.« Corinth drehte sich um und ging die wenigen Schritte zum Strand hinunter. Helga folgte ihm wortlos. Sie brauchten nicht miteinander zu sprechen; sie verstanden sich auch schweigend, als sie
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